Was deine Bilder mit Spaghetti zu tun haben (und was du dagegen tun kannst)

Nein, es geht hier nicht eigentlich ums Essen. Es geht um Rauschen und darum, dass du diesem Rauschen ein

Signal

hinzufügen solltest (und nicht noch mehr Rauschen). “Bildersprech” ist das Wort, das mir neulich beim Joggen in den Sinn kam. Was sagt dein Bild?

Muss der Autor nicht auch die Leser-Seite einnehmen können? (Als “Autoren” bezeichne ich hier einmal alle, die etwas kreieren. Fotografen, Musiker, Künstler, ja, Köche.) Der Autor hat seine Leser, der Fotograf diejenigen, die seine Bilder betrachten (lesen können müssen), der Koch seine Gäste, die (Fein-)Schmecker, der Musiker die Zuhörer. Die Liste lässt sich erweitern. Als Fotografen sind wir quasi Bild-Autoren.

Detail eines alten Pontons mit Rostspuren und Markierungen
Detail eines alten Pontons mit Rostspuren und Markierungen

Es geht um Zeichen. Zeichen, die entschlüsselt werden müssen, wenn sie verstanden werden sollen.

Als Autor/ Künstler musst du zunächst die Sprache deines Gegenübers verstehen. Musst sie sprechen können. In der Formulierung deiner Worte (Bilder, Ideen etc.) liegt eine besondere Kraft.

Hier kommt meine Analogie zum Essen ins Spiel – einfach ein Beispiel aus dem Alltag. Spaghetti mit Ketchup: Kennt jeder, versteht jeder. Alle, vor allem auch alle Eltern in der westlichen Hemisphäre, haben wahrscheinlich schonmal Nudeln mit Ketchup zubereitet. Ich jedenfalls. Weil es schnell gehen musste, weil es einfach ist. Weil Kinder (die Leser) in der Hinsicht andere Ansprüche haben. Sind Spaghetti mit Ketchup als ausgefeiltes oder besonders spannendes Gericht bekannt (Falls es da Variationen oder andere Erfahrungen oder Kombinationen gibt, gerne her damit)? Nicht unbedingt. Aber sie machen satt und befriedigen ein gewisses Grundbedürfnis. Die Zielgruppe ist damit zufrieden, weil die Ansprüche in dem Moment vielleicht nicht so hoch sind.

Alte Reifen und kaputtes Schlauchboot. Buntes im Unbunten.
Alte Reifen und kaputtes Schlauchboot. Buntes im Unbunten

Auf die Fotografie übertragen: Deine Arbeit ist eine Nachricht an dein Gegenüber. Sie ist gewissermaßen verschlüsselt, bei Fotografen in einem Bild. Das Bild kerzählt dem Betrachter also etwas, das er versteht – oder auch nicht. Der Betrachter muss es entschlüsseln, damit er es versteht. Wie hoch dabei dieser Grad des Entschlüsselns ist oder wie weit eine Arbeit entschlüsselt werden kann oder soll, ist aber dabei nicht unbedingt wichtig. Es gibt viele rätselhafte Bilder, Musikstücke, Bücher (La Gioconda, Stairway to Heaven, Ulysses) – manchmal ist eine vollständige Interpretation vielleicht gar nicht gewollt, weil sonst der Zauber, der einem Werk innewohnt, verschwindet oder verblasst.

Hingucker, Weggucker

Ein Kunstwerk – hier: Bild – kann schnell erfasst werden und alles sagen, was gesagt werden muss – deshalb ist es kein langweiliges oder schlechtes Bild. Guter Bildjournalismus lebt von der schnellen Entschlüsselung. Das Bild eines Spitzmaulnashorns, dem das Horn abgetrennt wurde und das verendend in der Savanne liegt – ein „World Press Photo Awards“-Bild – habe ich nur einen Sekundenbruchteil betrachtet und musste wegschauen, weil es mir die Tränen in die Augen trieb. Vielleicht ist die Sprache dieses Bildes oder dieser Kategorie von Bildern so universell und schnell zu entschlüsseln, dass sie unmittelbar wirken. Einfache Bildsprache, extrem starker Inhalt.

Auf der Documenta11 sah ich ein Bild – ein Aquarell des Belgiers Luc Tuymans, aber es hätte eben auch eine Fotografie sein können – das ein Haus zeigte. Ein “Herrenhaus”, eingebettet in eine unspektakuläre Landschaft. Im Kontext der Documenta musste es eine Bedeutung haben, die über die bloße Aquarellkunst hinausgeht (Tatsächlich ging es um Kolonialismus, Rassentrennung und burische Großgrundbesitzer). Aber den Kontext und die Message dieses Bildes musste ich mir erstmal erarbeiten. Wie der Kritiker Bazon Brock so schön sagt: Bedeutung steckt nicht in den Dingen wie der Keks in der Schachtel.

Neue Autos hinter Schutzzaun. Kontrast alt-neu
Neue Autos hinter Schutzzaun. Kontrast alt-neu

Aber es gibt eben auch diese “Spaghetti-mit-Ketchup”-Bilder. Wenige Zutaten, vielleicht auch universell einsetzbar – aber nicht sehr spannend oder inhaltsreich. (Hmh – einerseits habe ich jetzt Hunger, aber warum muss ich dabei an Stockfotografie denken?)

Es geht um Inhalte, um Signale – wenn wir gute Bilder machen wollen.

Das unablässige Gemurmel, das Bildrauschen, das uns umfängt, wird nicht aufhören. Es wird auch nicht deutlicher werden, wenn wir ihm immer mehr Blablabla-Bilder hinzufügen (Ich merke, es geht schon wieder in Richtung “Nachhaltige Fotografie”, was vermutlich auch nicht abzukoppeln ist).

Damit ein Betrachter am Bild hängenbleibt, muss der Inhalt schnell erfasst werden. Aber muss er das wirklich vollständig? Oder braucht ein Foto einen “Köder”, der ihn einfängt? Der Köder kann eine gute Gestaltung sein, oder eine offensichtliche Irritation. Siehe mein Documenta-Erlebnis oben.

Banal?

Manchmal fotografiere ich auf der Straße Dinge. Die Frage “Was fotografieren Sie da?”, ist beinahe Programm. Ich habe mich zwar noch nicht daran gewöhnt, aber ich rechne immer damit, wenn ich unterwegs bin, dass diese Frage kommt. Gut möglich, dass du diese Frage ebenfalls schon mehrfach gehört hast. Den verlorenen Schuh,

Hast du dich nicht auch schon einmal gefragt, warum auf Parkplätzen oder an Autobahnseitenstreifen immer nur ein Schuh liegt? Was ist da passiert? Und wo ist der andere Schuh jetzt?

das abgerissene Plakat, Sperrmüll. Dreck. Kaugummis, die irgendwo kleben. Anfangs war es eine Überwindung, ein Umherschauen, ob auch keiner kommt und guckt. Mittlerweile? Egal. Was fotografiere ich da, wenn ich diese liegengelassenen Dinge sehe?

Alter Handschuh und Zigarettenkippe. Die Ästhetik des Hässlichen
Alter Handschuh und Zigarettenkippe. Die Ästhetik des Hässlichen

Fortlaufendes Projekt

Für den einen sind es Dinge, die es nicht wert sind, fotografiert zu werden, weil sie nicht mehr gebraucht werden, weil sie überflüssig geworden sind. In meinem Fall genau umgekehrt: Gerade deshalb fotografierte ich sie. Weil in ihrer Banalität, ihrem Ordinären eine tiefere Symbolik steckt. Hence the name: “projekt b”. “b” steht für Bartleby aus “Bartleby der Schreiber” von Herman Melville. Die Hauptperson entschließt sich eines Tages, nicht mehr zu arbeiten, nicht mehr bloß zu funktionieren. Sagt: “I prefer not to”.

Nicht gerade zufällig sind die Bilder parallel zu meinem “Flensburg Faces”-Projekt entstanden, in dem ich mich mit Menschen befasste, die ich vormittags auf der Straße antraf, während “normale” Menschen im Büro sitzen oder anderweitig ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Im Banalen kann starker Inhalt stecken. Oder wenigstens eine kleine Geschichte.

In diesem Sinne: Mach, dass dein nächstes Bild dein Stärkstes wird.