Manche brauchen Alkohol oder andere Drogen, um sich aus dem Alltag zu katapultieren. Ich brauche nur meine Kamera, gehe auf die Straße und kann alles andere um mich herum vergessen.
Workshopteilnehmer (sinngemäß)
Das Eingangszitat bringt es auf den Punkt: Mit der Kamera auf der Straße lässt du den Alltag hinter dir. Du bist komplett fokussiert auf Szenen, Gestaltungselemente und Geschichten. Bist in deiner eigenen Zeitblase unterwegs, während andere von Geschäft zu Geschäft hetzen, unterwegs sind, anstatt einfach im Hier und Jetzt zu sein. Streetfotografie als Form von Meditation, könnte man beinahe meinen.
Vergangenen Samstag fand mein erster ganztägiger Streetfotografie-Workshop statt. Wir trafen uns zu acht um 10:00 gegenüber des Kieler Hauptbahnhofs, zogen von dort aus durch die Innenstadt, machten einen Schlenker über den Wochenmarkt und ließen uns durch die Fußgängerzone zurück treiben. Es ging weniger darum, irgendwo anzukommen, um zu fotografieren, sondern darum, den Blick dafür zu öffnen, was sich unterwegs, an den Stellen, an denen jeder andere vorübergeht, abspielt. Technik war zweitrangig. Es ging ums Sehen lernen.
Hier gibt es ein paar der beim Workshop entstandenen Bilder – tolle Resultate, wie ich meine! Weitere folgen.
Mehr Bilder vom Workshop gibt es übrigens auf Flensburg Photography zu sehen!
Straßenfotografie ist mehr als nur sich auf die Straße stellen und ein Bild machen, das verwechseln viele und so sehen dann die Bilder aus. Straßenfotografie zählt für mich zur Königsdisziplin, den entscheidenden Moment treffen, eine Geschichte erzählen nicht einfach nur ein Knipsbild und dann stolz erzählen, das ist Straßenfotografie. Ist es eben nicht.
HCB (ich bekam den rat von einem anderen Fotografen) empfahl dazu auch das Buch: Zen in der Kunst des Bogenschießens, von Eugen Herrigel.
Wenn man das Buch gelesen hat, wird man merken, daß einmal nicht reicht. So wie Herrigel seine Erfahrungen beschreibt, bis er den entscheidenden Moment erahnen und just in dem Moment auch den Schuß abgeben konnte, so erschließt sich auch beim Lesen nicht gleich dieser Moment. Mir erging es jedenfalls so. Und in diesem Moment, wo ich diese Worte schreibe, kommt mir der Gedanke das kleine Büchlein mit in den Koffer zur übrigen Reiselektüre zu legen und es mindestens einmal zu lesen, denn gelesen habe ich es schon mehrmals.
Parallel zum Thema Straßenfotografie, man kann sich die Definition bei Wikipedia zueigen machen oder es lassen, gehört auch das Thema Available Light. Da rennen dann auch viele los, mit dem Stativ, und meinen sie hätten es, das Bild. Available Light nutzt das Restlicht, mit dem noch aus der Hand fotografiert werden kann. Und guckt man in die fc wird man erstaunt feststellen was die dortigen „Künstler“ so alles unter diesem Begriff verstehen. Aber in der heutigen Zeit, in der die modernen Kameras schon rauschfreie Bilder mit über 50.000 ASA fabrizieren, wird auch dieses Thema dem ureigensten Sinn geopfert oder soll man sagen dem Massengeschmack zum Fraß vorgeworfen?
nur meine 2 Pfennige….
Danke, Jörg, für den ergänzenden Exkurs! Dass Streetfotografie eben keine Knipsbildmacherei ist, ist auch das, was ich meinen Workshop-TeilnehmerInnen zu vermitteln versuche. Es geht darum, sich in der Welt zu bewegen, diese mit neuem Blick zu erforschen und sich für das Skurrile, Besondere im Alltäglichen zu sensibilisieren. Königsdisziplin hin oder her – das kann ich auch für die Portrait- oder Landschaftsfotografie anwenden. „Einmal genügt nicht“ – da gebe ich dir vollkommen Recht. Es ist eine ständige Übung, und es soll auch niemand von sich behaupten, nach einem eintägigen Workshop sei er Streetfotograf, das ist klar.
Der Buchtitel ist mir schon häufiger untergekommen, vielleicht ist es jetzt mal an der Zeit, es auch zu lesen ;-)!
Beste Grüße erstmal, Tilman
Die Motive, warum einer auf rausgeht, um „auf der Strasse“ zu fotografieren, sind vielfältig. Über die Ergebnisse kann man diskutieren. Für denjenigen, der sie gemacht hat, haben sie einen Wert, sofern er sie nicht gleich wieder löscht. Unsere „westlich traditionellen“ Vorstellungen von einem „Strassenbild“ müssen auch nicht unbedingt mit denen aus einem anderen Kulturkreis übereinstimmen. Mich stört diese einseitige Sichtweise. Da ist nichts gut oder schlecht, sondern anders. Und, man sieht es einem gelungenem (nach unserem Massstab) Bild nicht an, ob es in der Serie mit 10 Bildern pro Sekunde augenommen wurde oder ob es der goldene Schuss war. Und, ein Knipsbild kann schon beeindruckend sein, wenn man dann den Mut hat, sich wirklich nah ans Geschehen zu begeben. Früher oder später werden sich da sowieso individuelle Unterschiede ergeben, sofern jemand dann dabei bleibt und regelmässig übt. Das hängt ja wohl auch mit der Persönlichleit jedes einzelnen Menschen zusammen. Der eine ist eher intovertiert und sucht halt grafische Elemente, die er mit Personen „schmückt“, der andere ist ein Draufgänger und geht mit der Ricoh ganz nah dran. 🙂 Auch da ist nichts „schlechtes“ oder „gutes“ dran. Der Fotograf ist Mensch und seine Motive auch.