Die Welt scheint in Bildern zu ertrinken. Jeden Tag, Stunde, Minute werden Abermillionen von Fotos ins Netz gestellt, und der Strom hört nicht auf. Hätte mir das jemand vor 30 oder auch 20 Jahren gesagt, ich hätte nur verständnislos den Kopf geschüttelt.

Diese einsetzende Bilderflut, der ich in meiner früheren Arbeit als Frontend Developer ausgesetzt war, in der ich mich durch alle möglichen Bilddatenbanken wühlte, hat mich kurz nach meiner Fotografenausbildung desillusioniert. Mir schien es sinnlos, dieser Masse von Bildern auch noch weitere, mehr oder weniger mittelmäßige hinzuzufügen.

Fotografie wurde eine Art Hobby, eher eine Nebensache. Ich knipste weiter mit Nikon, Voigtländer, Leica, auf Schwarzweißfilm, den man in C-41 entwickeln konnte, und freute mich über die Ergebnisse. Urlaubsbilder meistens.

Suche nach Wahrheit

Ich wandte mich der Musik zu, tourte ein paarmal duch Europa, fand später große Erfüllung im Laufen. Stellte mir – als diese Bilderflut im Netz nicht versiegen wollte, sondern noch heftiger wurde – 15 Jahre später die Frage, was mich eigentlich seit meiner Kindheit begleitete und geprägt hat: Fotos und Musik. Pink-Floyd-Plattencover, grobkörnige S/W-Aufnahmen aus Jahrbänden zur Fotografie (Ich habe sie immer noch). Und ich stellte fest, dass mich gute Bilder nach wie vor faszinieren, mehr denn je sogar. Eine Dokumentation über Oskar Benedek gab mir den letzten Anstoß.

Das Mehr an Bildern, die täglich an uns vorbeirauschen, wurde nicht besser. Und dennoch nahm ich meine Reise wieder auf. Fing an, mit meiner D90 in der Mittagspause zu fotografieren und gab einen Scheiß darauf, ob ich nun in der Flut untergehe, und fragte mich vielmehr, ob es für mich vielleicht einer Suche nach einer tieferen Wahrheit nahekommt, wenn ich intensiv fotografierte. Ein persönliches Ding.

Verbindung zur Welt?

Für manche ist Fotografie ein Weg, sich „mit der Welt zu verbinden“. Ich habe länger darüber nachgedacht, was das heißen könnte. Denn spontan habe ich manchmal das Gefühl, dass ich mich außerhalb der jeweiligen Szene bzw. der „Welt“ befinde, vielleicht so sehr auf Motive konzentriert bin, dass ich gar nicht richtig da bin. Und erst später sehe ich – wenn alles gut lief – wie ich den jeweiligen Moment wahr- und aufgenommen habe. Für meine Streetprojekte ist es so, dass ich mich den Menschen nähere, das Medium Kamera immer dazwischen steht. Eine Art technischer und emotionaler Distanzhalter. Der „Verbundenheit mit der Welt“ kann ich so gesehen nur bedingt zustimmen. Wenn es sich auch schön anhört.

Suche nach Wahrheit

Wenn du meinen Blog schon länger liest, nehme ich an, dass du nicht einfach nur „schöne Bilder machen“ willst. Vielleicht hast du auch schonmal darüber nachgedacht, was es sein kann, das dich fasziniert. Fotografie kann dir neue Bildwinkel ermöglichen und neue Sichtweisen aufzeigen. In einem Wimpernschlag fängst du Momente ein, die andernfalls im Alltagsstrudel untergehen.

Deine Art zu fotografieren zeigt dir, was dir eigentlich wichtig ist, was du selbst siehst. Sie sagt etwas über dich aus. Sie kann dir sogar in der Rückschau auf deine eigenen Bilder zeigen, was dir wichtig war und ist. Wie sich dein Sehen und deine Sichtweisen verändert und entwickelt haben.

Sie macht dich zu einem Beobachter, und du befindest dich immer auf einer anderen Ebene als deine Umgebung. Deine Aufgabe ist, alles aus dem Frame herauszulassen, was für das Bild, deine Aussage über die Welt nicht relevant ist.

So betrachtet, trägt Fotografie – oder auch jede andere kreative und schöpferische Tätigkeit – zu deiner persönlichen Entwicklung bei.

Dies führt auch zu der Frage, warum Fotografie und nicht Malerei, Skulptur oder Zeichnen? Ich glaube, dass die Antwort darin liegt, dass man Fotografie mittlerweile immer und überall (fast) betreiben kann. Gut, man könnte auch stets einen Block dabei haben und zeichnen oder schreiben (letzteres tue ich auch, ein weiteres Tool zur Selbstreflexion).

Auch ist Fotografie für viele so faszinierend, weil sie ähnlich wie das Auge funktioniert. Sie ist zugänglicher als Zeichnen oder Schreiben, was es für viele einfacher macht. Und doch stellt sie eine Abstraktion der wahrgenommenen Realität und der sichtbaren Wirklichkeit dar. Ich glaube auch, dass sich in diesem Spannungsfeld – das Wahrgenommene und dessen Abbild und fotografische Interpretation – viel abspielt.

Andere sehen, was du wie gesehen hast. Fotografie ist ein künstlerisches Ausdrucksmittel. Du kannst deine Träume verbildlichen, wenn du willst (oder es zumindest versuchen). Textpassagen aus Büchern, die dich inspirieren, in ein Bild bringen, in einem Bild verdichten.

Es deine eigene Sicht auf die Welt, die du fotografisch zum Ausdruck bingen kannst.

Kurzgeschichten

Wenn du gut bist, bringst du in einem Bild eine ganze Palette von Gefühlen, oder eine Geschichte zum Ausdruck.

Wenn du die Welt durch einen Sucher wahrnimmst, wählst du bewusst aus, was dir wichtig ist, und was ud womöglich anderen zeigen willst. Es geht nicht um schön anzusehende Bilder. Es geht dir darum, deine Eindrücke zu verarbeiten, und deinen Standpunkt klarzumachen.

Suche nach Wahrheit

Du siehst eine schöne Blume, setzt sie wunderschön in Szene, mit cremigem Bokeh und du hast ein tolles Postkartenmotiv. Oder ein Symbol für Weiblichkeit, Verletzlichkeit, Vergänglichkeit. Stelle einen Teller mit verschimmelten Essensresten daneben, und du hast eine Geschichte. Es ist an dir, zu entscheiden, ob du gefallen möchtest, oder ob dich eher die Brüche und Differenzen interessieren, auf die Gefahr hin, dass es nur einen Bruchteil der Leute, die deine Sachen sehen, interessiert.

Reality. Check.

Es gibt viel zu entdecken. Deine eigene Wirklichkeit, deine Wahrheit.

Was bedeutet Fotografie für dich? Du kannst die Schönheit und die Hässlichkeit der Welt zeigen. Die Absurdität des Lebens, des menschlichen Daseins. Eine Blume so schön zeigen, wie sie noch niemand gesehen hat. Ob dabei nun ein schönes Postkartenmotiv herauskommt oder etwa eine tiefere Wahrheit , liegt an dir.

2 Responses
  1. Für mich ist es so vieles … vieles was mich mit der Welt verbindet und mir die doch nötige Distanz schafft, wie ein Schild zum Schutz, der mich in manchen Situationen wie ein Stück weit verstetzt zur Realität … ich nehme an der Welt Teil und doch wieder nicht … bin Beobachter, Teilnehmer und ein Schaffender zugleich.

    Ich kann mich ausdrücken und meinen Blickwinkel deutlich machen, hebe Schätze und trage diese voller Vorfreude mit mir herum.

    Es bringt mich in Kontakt mit Menschen auf die unterschiedlichste Weise und ich kann mich ausdrücken, und diesen Ausdruck entwickeln … lerne über Licht und sehe Details die ich früher nicht sah, lerne Tiere kennen die ich nicht kannte und finde Perspektiven die ich vorher nicht sah.

    Für mich war es ein großes Glück die Fotografie zu finden.

    “Fotografieren, das ist eine Art zu schreien, sich zu befreien (…) Es ist eine Art zu leben.” – Henri Cartier-Bresson

    1. Tilman

      Matthias, vielen Dank!
      Schön gesagt. Es lässt sich manchmal schwer ausdrücken, aber diese „Nähe in der Distanz“ bzw. umgekehrt trifft es recht gut.
      Gruß, Tilman