Töte. Deine. Idole. Headshots und so.

Heute sah ich ein Bild auf LinkedIn, das ein Headshot-Fotograf postete. Er war offensichtlich sehr stolz darauf. Er bedankte sich öffentlich bei seinem Klienten, betonte, wie stark der Ausdruck sei, was für eine großartige Persönlichkeit, was für ein tolles Shooting es war usw. Es war das Schulterportrait von einem Security-Chef, ein bulliger Typ (passt). Frontal, keine Körperdrehung. Voll ausgeleuchtet, weißer Hintergrund. 2 vertikale Catchlights in jedem Auge. Aber irgendetwas fehlte. Oder passte nicht.

(Nein, es war nicht das Bild, das du hier siehst. Was es damit auf sich hat, liest du weiter unten.)

Formal betrachtet, war es die Gestaltung, die einfach nicht durchdacht war Zum Beispiel befanden sich Augen zu weit an der mittleren Horizontalen. Aber auch die Haltung der Person erschien mir wenig dynamisch, vielmehr zu statisch. Die Augen waren kaum sichtbar, der Ausdruck maskenhaft (abgesehen davon, dass die Zähne einen zu starken Gelbton hatten). Für mich wirkte das Bild insgesamt nicht echt. Selbst der Hintergrund sah aus, als sei er nachträglich ausgetauscht worden, aber da mag ich mich täuschen.

Der Fotograf hat eigentlich versucht, alles richtig zu machen (und er macht mitunter auch gute Headshots). Aber es einfach nur according to the book zu machen und zu erwarten, dass es ein großartiges Bild wird (oder sich das einzureden), ist ein Schritt in die falsche Richtung.

Kopieren oder besser machen? Beides!

Die Fragen, die ich mir stellte: Hat der Fotograf eigentlich mehrere Bilder in der Session gemacht? Hat er mit der Komposition, der Körperdrehung gespielt, um die beste und vorteilhafteste Position und Haltung zu finden? Hat er sich vorher Gedanken über den Hintergrund gemacht? Hat er sich sein Model vorher genau angesehen? Als guter Portraitfotograf hätte er das tun müssen. Für mich sah es aber nicht so aus.

Vielleicht liegt es ja auch nur an mir. Ich konnte mich gerade noch beherrschen und mich von einem negativen Kommentar (zwischen den anderen belobigenden Worten) zurückhalten.

Ich weiß nicht, was Peter Hurley (zu dessen weltweiter Headshot-Crew der Fotograf gehört) dazu sagen würde. Das ist auch zweitrangig. Es geht nicht darum, seinem „Meister“ zu gefallen. Aber wenn du dich schon an einem Vorbild orientierst, solltest du auch den Kern seiner Arbeit verstanden haben.

Du kannst dein Vorbild kopieren, bis du so gut darin bist, um dich von ihm zu lösen. Wenn du auf halbem Wege stehen bleibst und meinst, alles richtig und gut zu machen (weil du vielleicht auch viele Likes dafür erhältst), bist du auf dem besten Weg ins untere Mittelmaß.

Es geht hier nicht um Headshots.

Was ich hier schreibe, ist nur ein (hoffentlich) anschauliches Beispiel, das dir verdeutlichen soll, warum du dich von deinen Vorbildern lösen musst. Aber dennoch möchte ich kurz zeigen, wie ich es gemacht hätte.

Wie ich oben bereits in meinen Fragen angedeutet habe, hätte das Bild meines Anstoßes ganz anders werden können. Eine leichte Drehung im Kopf- und Schulterbereich, eine andere Bildaufteilung, bewusstere Ausleuchtung. Das wäre schon ein Anfang. Anschließend – und das ist die größere Herausforderung – hätte ich daran gearbeitet, unterschiedliche Ausdrücke der Person hervorzulocken. Mit allen möglichen Varianten zu spielen (ernst, lustig, Mund auf/ zu), um schließlich einen Ausdruck zu finden, der authentisch, ehrlich und nicht maskenhaft erscheint. Dann wären wir im besten Falle bei unserem Vorbild angelangt.

Um dann weiterzugehen. Auch ich bin den Weg gegangen (der erst begonnen hat), mich an Vorbildern zu orientieren, sie zu kopieren. Frage dich, was dich an deinen Idolen fasziniert, warum du so sein willst wie sie. Denke jedoch daran: Du bist nicht nur ein Fanboy oder -girl. Du lässt dich inspirieren, holst dir Ideen und lässt diese in dir mutieren, wachsen, sich verändern.

Oder einfach gesagt: Es reicht nicht, Peter Hurleys Catchlights zu haben. Die Frage, die du dir stellen solltest, ist: Was macht denn die eigentliche Qualität seiner Arbeit aus?

Es geht um Ausdruck, LEUTE.

Aber es geht nicht nur um den Ausdruck des Menschen vor deiner Kamera. Sondern um den Ausdruck deiner eigenen künstlerischen Stimme.

Bleib nicht dabei stehen, dass du die Technik beherrschst, und alles ist gut. Kauf dir nicht einfach ein paar tolle Studioleuchten und denke, dass du jetzt „Licht kannst“ (genauso wenig, wie das mit einer neuen Kamera ist: Du machst damit auch keine besseren Bilder).

Um beim Headshots-Guru zu bleiben: Wenn du das Licht toll findest, frage dich: Wie hat Hurley seinen Beleuchtungsstil gefunden / entwickelt / entdeckt? Welche „Begründung“ hat er dafür? Warum solltest du das nachmachen wollen? Seine Bilder sind toll. Ist das ein Grund, warum du den Stil imitieren solltest? Oder magst du anderes Licht lieber, weil du einen anderen Bezug dazu hast (vielleicht, weil dich bestimmte Regisseure inspirieren)

Hurley ermuntert seine Crew-Members selber, es ihm gleichzutun. Ich denke jedoch nicht, dass er ernsthaft meint, jede/r solle so fotografieren wie er. Sondern – so wie er es tut – seine eigene Persönlichkeit in die eigene Fotografie einbringen. Wir fotografieren alle „nur“ Oberflächen. Aber manche fotografieren oberflächlich, andere graben tiefer. Was machst du?

Noch einmal. Du magst fragen: „PHs Stil ist doch cool, und die Bilder, die ich mit seinen Tipps/ Vorangehensweise mache, werden wirklich gut!“ Aber ist das ein wirklicher Grund, nicht weiter zu gehen? Weil es ja so gute Ergebnisse bringt? Ich sage nicht, dass es leicht ist, Bilder zu machen, wie sie der Guru macht. Es ist ein langer Weg, den er da gegangen ist. Aber darüber hinauszugehen ist so wie das sichere Ufer zu verlassen, und weiter ‚rauszuschwimmen. Das fühlt sich seltsam, beängstigend an, und du hast den Impuls, zurückzuschwimmen.

Sei besser als dein Idol. Das sollte zumindest dein Anspruch sein. Große Künstler haben irgendwann ihre Meister hinter sich gelassen, überwunden. Kreiere deinen eigenen unverwechselbaren Stil. Finde deinen Ausdruck, und hilf den Menschen vor deiner Kamera, ihren Ausdruck zu finden. Nichts anderes rate ich dir.

Nicht falsch verstehen: Ich mag Peter Hurley auf seine Art und schätze seine Fähigkeiten und Headshots bisweilen sehr. Aber du kannst weiterdenken, weitermachen. Er macht es auf seine ihm spezifische Art. Du wirst es auf deine ganz eigene Weise machen müssen, willst du nicht ein weiterer PH-Klon sein.

Hier ist übrigens das Bild, das den Anstoß zu diesem Artikel gab.
There is more than one way to do Headshots.

Das Eingangsbild hat rein gar nichts mit Headshots zu tun. Klar. Es ist mein erstes Streetbild, das ich mit 8-9 Jahren machte. Ich nannte die Bilder damals „Agentenfotos“. Rückblickend meine ich zu sehen, dass sich mein Interesse bereits in diesem Alter auf andere Perspektiven und Szenen und Themen orientiert hat. Ob das meine Fotografie geprägt hat? Mag sein.

Wenn du deine eigene Fotografie weiterbringen willst, dich Themen wie „Licht“, „Menschen“ oder „Gestaltung“ interessieren: Ich biete regelmäßig neue Workshops zu diesen Themen an.

Zu den Workshops

Das war eine ganze Menge, und vielleicht kommt hier auch eine sehr subjektive Sichtweise ‚rüber. Aber ist dir vielleicht selber schonmal passiert, dass du so happy mit einem Bild warst, dass du es zeigen musstest, aber etwas nicht damit stimmte? Oder hast du ein Vorbild, dem du nacheiferst? Du weißt aber nicht genau, warum oder würdest gerne wissen, wie du deine eigene Stimme findest? Ich freue mich jedenfalls über deine Meinung!

5 Responses
  1. Michael Teuber

    Das Bild wurde mit Ringblitz auf der Kamera von vorne gemacht?? So schaut es zumindest aus nach dem Licht in den Augen. Hm, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich es für eine Karikatur von Manfred Deix halten, so überzeichnet sind die Eigenschaften des „Security“. 🙂 Vielleicht wollte der Fotograf das so haben. Wenn ja, ist ihm das gelungen. Das werden wir wohl nicht erfahren.