Heute hatte ich ein kurzes aber intensives Gespräch mit Reiner, ehemaliger Schlachter und Handball-Spieler, heute obdachlos. Es ging um Sucht, Überlebenswillen und Freundschaft.
Ich traf Reiner bis jetzt zweimal. Als ich ihn heute darauf ansprach, dass ich schonmal mit ihm geredet hatte, sagte er nur „Kann sein. Weiß ich aber nicht mehr.“ Er kann auf eine 40jährige Trinkerlaufbahn zurückblicken und war bis vor ein paar Wochen tatsächlich noch ganz anders drauf.
Das letzte Jahr hat er „komplett durchgesoffen“. Wie er das meinte, fragte ich. „Jeden Tag. Nur harten Stoff.“ Wie man das schafft, allein körperlich? Bei der Arbeit auf dem Schlachthof früher war es allgemein akzeptiert, zu saufen. Vom Chef persönlich abgesegnet, sozusagen: „Das ist nichts Böses, wenn ihr bei der Arbeit trinkt. Ab und zu musst du mal etwas rohe Leber essen und Blut trinken. Da ist alles drin, was du brauchst.“
„Hättest du mich vor drei Wochen gesehen… Schwarze Hände, Gesicht schwarz“. In der Hütte, die er zu jener Zeit als Schlafplatz aufsuchte, war er im Vollrausch eingeschlafen, als der Ölofen zu räuchern begann. „Eigentlich würde ich heute nicht hier sitzen“, aber ein Engel sei gekommen und habe ihn gerettet. Ein Engel? „Meine Mutter ist 2005 gestorben. Wenn ich etwas angestellt hatte und zu ihr kommen sollte, rief sie immer ‚Bengel!‚“ Dasselbe „Bengel!“ riss ihn aus dem Schlaf. Instinktiv rannte er raus, an die frische Luft. Finger in den Hals, kurz darauf zur nächstgelegenen Tanke, den Nachdurst bekämpfen. Eine Bekannte, ehemalige Krankenschwester, traf ihn dort an, war über seinen Zustand entsetzt und überzeugte ihn, dass er ins Krankenhaus musste. Offenbar ahnte sie, dass er nicht nur eine Alkohol- sondern auch eine Rauchvergiftung hatte. Im Krankenhaus wurde ihm dann bescheinigt, dass er überaus knapp davongekommen sei.
Ob dieses fatale Erlebnis der Wendepunkt war? Tatsächlich noch nicht. Aber seit einigen Monaten kennt er Sergio, der es geschafft hat, ihn irgendwie wachzurütteln, der gesehen hat, wie es tatsächlich um Reiner bestellt war.
Derzeit ist er in Therapie, noch 11 Tage lang. Die tue ihm ziemlich gut. Tagsüber hat er „Freigang“.
Ich hoffe noch auf weitere Gespräche mit ihm.
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