Den folgenden Artikel schreibe ich vor dem Hintergrund eines schon älteren aber nach wie vor ungeklärten Streits über die Streetfotografie. Der Fotograf Espen Schweighöfer hat im Rahmen einer Kunstausstellung unter anderem ein Bild von einer Person im öffentlichen Raum veröffentlicht. Ungefragt. Die Person – eine Frau, die über einen Zebrastreifen geht – hat sich erkannt. Und geklagt. Espen Schweighöfer beruft sich auf die Kunstfreiheit. Ob diese nun in diesem Fall höher bewertet werden muss als das Persönlichkeitsrecht, ist leider noch immer nicht klar. Ein aufschlussreiches Interview mit Espen Schweighöfer gibt es bei 22places.de.
Warum betreibe ich Streetfotografie?
Die Frage muss sich jeder, der sich mit dem Thema befasst, selbst beantworten können. Die gängigste Antwort ist „weil ich das Geschehen auf der Straße dokumentieren möchte“. Ein zeitdokumentarischer Ansatz also.
Aber es kann auch andere Gründe geben. Es kann einfach der Spaß an der Sache sein, im Alltäglichen neue Dinge zu entdecken. Seinen Blick zu schulen. Im sozialen Kontext zu interagieren. Menschen ein Gesicht zu geben, Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge oder Situationen zu lenken. Kunst zu machen. Für mich ist Streetfotografie auch eine Achtsamkeitsübung und das Bedürfnis, andere Menschen zu sehen und ihnen Aufmerksamkeit zu geben, das mich auf die Straße treibt.
Warum finde ich, dass man Menschen auf der Straße fotografieren dürfen sollte oder gar müsste? Vielleicht frage ich mich zuerst selber, ob es für mich ok ist, wenn jemand in der Öffentlichkeit ein Bild von mir macht (Ich glaube, ich fände es ok. Anders wäre es, wenn das Bild von Überwachungskameras gemacht würde).
Aus dem Bauch heraus, was würde gegen eine Einschränkung des Fotografierens von Personen in der Öffentlichkeit sprechen? Wenn ich Fotografie im Allgemeinen als eine Kunst- und Ausdrucksform definiere, so ist auch das Genre Streetfotografie als solche zu betrachten. Kunst sollte an sich immer frei sein und sich alle Freiheiten nehmen dürfen. Aber das Anfertigen eines solchen Bildes ist immer nur die eine Seite.
Wenn ich fotografiere, möchte ich meine Bilder auch anderen zeigen. Kunst im kleinen Kämmerlein zu betreiben, ist nicht sehr erfüllend. Als kreativ tätiger Mensch bin ich – und ich unterstelle das jedem anderen – auf die Bestätigung, Kritik oder gar Anerkennung meiner Umwelt angewiesen. Was ist demotivierender und frustrierender als ein brilliantes Bild, das ich niemandem zeigen darf? Ähnlich verhält es sich, wenn ich Street als Sozialdokumentation betreibe. Auch da ist es eher sinnlos, so etwas nur für mich selbst zu betreiben.
Wie mache ich das selber?
Wenn ich auf der Straße fotografiere, sind meist auch Personen darauf zu sehen. Das ist an sich auch rechtlich ok, solange ich nicht eine Person gezielt herauspicke und sie zum Hauptmotiv mache. Aber da entsteht nunmal der Konflikt, denn oft sind Menschen und ihre Interaktionen der Hauptinhalt. Angenommen, ich habe ein meiner Meinung nach gutes Bild gemacht, dann gehe ich zu dem Betreffenden und sage, was Sache ist. Ich zeige das Bild und frage, ob das ok ist. Im Zweifel kann ich das Bild immer noch vor den Augen der Person löschen. Ehrichkeit zahlt sich da meistens aus.
Übrigens habe ich noch nie ein Bild aus diesem Grund löschen müssen. Das einzige Mal, dass ich aufgefordert wurde, ein Bild zu löschen, war, als ich die Speisekarte eines Dönerladens von außen fotografiert hatte.
Ich kann aber auch den ganz konformen Weg gehen, und Leute vor der Aufnahme fragen oder mich z.B. per Handzeichen bemerkbar machen. Dann habe ich ein nicht mehr so authentisches Bild, wie ich vielleicht beabsichtigt hatte. Oder ich fotografiere so, dass die Menschen nicht erkennbar sind. Reflexionen, Schatten, Silhouetten, (Bewegungs-)unschärfe lassen sich hervorragend einsetzen. So gesehen, eröffnet sich durch die vermeintliche Einschränkung hier ein ganz neuer Blickwinkel. Gerne verweise ich an dieser Stelle noch einmal auf den sehr gelungenen Videokurs zur gesetzeskonformen Fotografie in der Öffentlichkeit von Thomas Leuthard.
Prinzipiell bewege ich mich dadurch immer wieder mal in der Grauzone. Ich bemerke dabei durchaus eine Schere im Kopf. Ich achte z.B. darauf, dass ich ungefragt keine entwürdigen oder peinlichen Szenen fotografiere bzw. veröffentliche, auf denen erkennbare Personen zu sehen sind. Ob es allerdings gut ist, diesen inneren Zensor zu haben, darüber bin ich mir selbst noch nicht im Klaren.
Sehens- und lesenswert dazu:
Das Recht am eigenen Bild und das Ende der „Street Photography“ [26C3]
Interview Espen Eichhöfer auf 22places.de
„Bilder von Personen veröffentlichen“ auf 22places.de