Hyperrealistische Bilder – je nach Verfahren auch HDR- oder Tone-Mapping-Images genannt – üben eine Faszination auf mich aus – wenn sie gut gemacht sind.
Vor ein paar Tagen hielt ich das Buch „Die fotografische Idee“ von Michael Freeman in den Händen. Eigentlich suchte ich eine Information über Hyperrealismus bzw. die technische Umsetzung als HDR, die ich in einem Portrait anwenden wollte. Am Ende habe ich mich in diesem Fall dagegen entschieden.
Only you know the best way to go down the path… – Joel Grimes
Im Netz findet man massenhaft Tutorials und Howtos, wie man im Handumdrehen ein HDR-Bild erstellt. Manche – technisch gesehen – nützlich, andere … naja. Davon, dass jedes halbwegs aktuelle Smartphone dien HDR-Option hat, ganz zu schweigen. Will ich so etwas? Eher nicht.
Warum interessiere ich mich überhaupt auf einmal für ein solches Thema, das eigentlich gar nicht mehr so aktuell und spannend ist? Angesichts der inflationär angewandten Wannabe-HDR-Optionen hat Chris Marquardt solche Bilder bzw. den Effekt irgendwann mal als „Clownkotze“ bezeichnet. Durchaus zurecht.
Nutze deine Intuition
Die Tatsache, dass mich andere Fotografen mitunter beeinflussen, sei es ihre Herangehensweise oder ihre Bilder oder beides, kann ich nicht verleugnen. In diesem Fall sind es Leute wie Joel Grimes oder Andrzej Dragan. Was mich interessiert, ist natürlich, wie sie zu ihrem Look gefunden haben, wie ihr digitaler Workflow aussieht. Aber wesentlich wichtiger ist tatsächlich die Frage, ob und warum es sich lohnen sollte, die eigene Arbeit, das eigene Bild so und nicht anders aussehen zu lassen. Das Letzte, was ich will, ist, irgendeins meiner Bilder zu nehmen und mir dann einen Fake-Joel-Grimes-Klon daraus zusammenzupfuschenbasteln. Was besagter Mr. Grimes immer betont: Er will wie Menschen überlebensgroß erscheinen lassen. Nicht unbedingt ausschließlich physisch, auch vom Ausdruck her, von der gesamten Bild- und Lichtstimmung her. Die Aussage bestimmt den Look.
Du musst dich also fragen, welche Bildaussage du eigentlich treffen willst, und nicht zu jedem Motiv passt der Look, den du so gerne hättest, nur weil er einfach toll aussieht. Abgesehen davon, dass du, wenn du einen bestimmten Look, der nicht gerade dezent ist (wie in der hyperrealistischen Darstellung der Fall ist), diesen sehr genau und „gefühlvoll“ bzw. intuitiv steuern musst, damit daraus nicht einfach ein billiger Instagram-Filter-Abklatsch wird.
Bildbearbeitung: Bis zu einem Monat
Interessant ist übrigens die Tatsache, dass Andrzej Dragan der Nachbearbeitung einer Fotografie er bis zu einem Monat widmet, wie Wikipedia sagt. Nichts, was du oder auch ich im Handumdrehen hinbekommen, trotz der Youtube-Verheißungen, die mit „HDR-Portrait in 5 Minuten“ locken. Du kannst also nicht erwarten, eine vergleichbare Qualität zu erreichen, wenn du irgendein Tutorial nachbaust. Vor allem dann nicht ohne darüber nachzudenken, was du wie und warum du die einzelnen Schritte eines Tutorials befolgst.
Was die genannten Fotografen eint – von ihrem eindringlichen Stil mal abgesehen – ist, dass sie sich ihre Herangehensweise erarbeitet und und auf dem Weg dorthin etwas ganz Eigenes für sich entdeckt haben. Da spielt es übrigens keine Rolle, ob sich die Künstler zunächst bei anderen ausgiebig bedient haben.
Zur Frage, warum mich so etwas wie HDR oder Hyperrealismus interessieren: Erst einmal finde ich es spannend, solche Bilder entstehen zu lassen. Du hast vielleicht eine gewisse Vorstellung vor dem inneren Auge, hast aber auch nicht mehr zur Verfügung als andere. Kamera, einfache Blitze, freie Software. Und irgendwann, nach einer Menge Herumspielen mit Knöpfen und Reglern an Blitz, Kamera, Software usw. hast du ein Bild, von em du sagst: „Hey – sowas habe ich vorher noch nie gemacht. Und es ist noch geiler geworden als ich erwartet hatte.“ Das braucht Zeit. Zeit, die du dir nehmen musst, wenn du weiter auf Entdeckungsreise gehen willst, denn ein einfaches Rezept für gute Bilder gibt es nicht. Wenn die Ausgangssituation, das Bild, das aus der Kamera kommt, schon gut aussieht, liegt es in deiner Hand, es noch besser zu machen, bis du sagst: „Jetzt ist es perfekt.“ Du solltest dann eigentlich nur noch wissen, wann du aufhören musst. Und auch das ist eine gewisse Kunst.
Und „mein Bild“? Da habe ich viel probiert – und bin dann bei einer Schwarzweiß-Version gelandet.