Häufig wirst du Aussagen hören wie „Landschaften macht man immer mit kleiner Blende, damit du eine große Schärfentiefe hast“ oder „Benutze bei Portraits immer eine große Blendenöffnung, dann ist der Hintergrund schön unscharf“. Das sind gut gemeinte Tipps, sind aber auch mit Vorsicht zu genießen. Sei also achtsam, wenn du das Wörtchen „immer“ hörst oder liest. Und um deiner Kreativität Willen darfst du diese Ratschläge einfach mal umdrehen, Landschaften mit selektiver Schärfe aufnehmen und Portraits machen, die im Vorder- als auch im Hintergrund scharf sind (Stichwort „Environmental Portrait“).
Klar: Die physikalischen Gegebenheiten und Gesetze sind – mehr oder weniger – unumstößlich. Wie du diese jedoch für deine eigene Art zu fotografieren nutzt, ist komplett deine Sache.
Zum Begriff der Schärfe gibt es tatsächlich Definitionen aus der Physik bzw. Optik. Ich versuche es mal mit meinen eigenen Worten: Jeder Punkt, der im Motiv vorhanden ist, erzeugt einen ebensolchen auf dem Sensor, auf dem Bild. Genaugenommen ist der erzeugte Bildpunkt eher ein Kreis, und je kleiner dieser Kreis ist, umso höher ist die Schärfe. Gut, das war jetzt eine sehr vereinfachte Variante, aber für den Hausgebrauch reicht jedenfalls mir diese Definition. Wenn du es genauer wissen willst, findest du hier eine exaktere Definition von Schärfe. Die deutschsprachige Wikipedia sagt es aber auch gleich im ersten Satz:
„Die Unterscheidbarkeit von Details in einem Bild wird Schärfe genannt.“
Nun also: „Schärfentiefe“.
Wenn du ein Foto machst, lichtest du für gewöhnlich dreidimensionale, also räumliche Dinge ab. Sie haben eine Ausdehnung, in die Höhe, Breite und Tiefe. Und das Wort „Tiefe“ verrät schon: Es ist die Ausdehnung in den Raum hinein, von der Bildebene (=Sensorfläche) weg.
Wenn du zum Beispiel ein Gesicht fotografierst, kannst du über die Blende steuern, ob nur ein Auge (ja, nur die Wimpern) scharf dargestellt wird oder der ganze Kopf von Nasenspitze bis zu den Ohren. Die Blende ist also nicht nur für die Menge des Lichts zuständig. Sie ist eben auch ein mächtiges Tool, wenn es um Gestaltung mit Schärfe und Unschärfe geht.
- Je kleiner die Blendenöffnung (höhere Blendenzahl), umso größer die Schärfentiefe
- Je größer die Blendenöffnung (niedrigere Blendenzahl), umso kleiner die Schärfentiefe
Du könntest es auch so sehen: Ein Objektiv – auch eins ohne eingebaute Blende – hat von sich aus schon eine gewisse Schärfentiefe. Mit Änderung der Blendenöffnung kannst du diese beeinflussen und vergrößern.
Ich habe hier drei Bildbeispiele, das erste mit Offenblende (f/1,8), das zweite mit f/8 und das letzte mit geschlossener Blende (f/22) aufgenommen. Den Schärfepunkt des Objektivs (50mm Standardobjektiv) habe ich ungefähr auf das erste Drittel des Zaunes gelegt, wie im ersten Bild zu sehen ist. Die Auswirkung der Blende auf die Schärfentiefe ist hier recht gut zu erkennen, denke ich.
Wenn du dich noch genauer und detaillierter mit Schärfe und Schärfentiefe befassen willst, kann ich dir empfehlen, dich da richtig einzulesen. Meine Empfehlung dazu ist ein Buch, das als das Standardwerk der Fotografie gilt. Andreas Feininger „Die neue Foto-Lehre“. Ein Klassiker, der – gerade, weil er schon alt ist – charmant daher kommt und viel erklärt. Achtung: Das Buch stammt aus den 1960er Jahren, lange vor der Digitalfotografie.
Ich möchte nicht zu theoretisch werden, aber eine Besonderheit, was den Schärfebereich betrifft, möchte ich noch kurz erwähnen. Wenn du auf einen Punkt, sagen wir in 2m Entfernung scharfstellst (manuell oder Autofokus, das spielt keine Rolle), dann wird die Schärfentiefe in beide Richtungen (zur Kamera hin und davon entfernt) unterschiedlich sein.
Das Bild wird also nicht, wie man erwarten könnte, bis zu einem Meter nach vorne und hinten scharf sein, wenn die Schärfentiefe 2m beträgt. Die Schärfentiefe ist eher dreigeteilt. Sie wird ca. ein Drittel davon vor, und zwei Drittel davon hinter dem fokussierten Punkt liegen. Viele Objektive haben sogar Markierungen, die den Schärfebereich anzeigen, je nach verwendeter Blende und eingestellter Entfernung.
Das war jetzt nicht zuviel und nicht zu theoretisch, oder? Dies soll und will keine wissenschaftliche Abhandlung sein. Dafür hoffe ich aber, dass ich dir ein wenig in meinen eigenen bescheidenen Worten das Phänomen der Schärfentiefe nähergebracht habe.
Wenn das alles zu konfus war, oder du einfach mal ein Feedback loswerden möchtest, schreibe gerne einen Kommentar!
[…] Was also tun? Verzichte auf das Gesicht oder auf andere eindeutige Merkmale und konzentriere dich z.B. auf Details. Lasse das Model sein Gesicht verbergen. Das Arbeiten mit Händen, oder Ansichten von hinten kann einen starken Ausdruck erzeugen. Du kannst auch mit Schärfentiefe arbeiten, und etwas – einen Gegenstand oder einen Körperteil – im Vordergrund platzieren. Das Gesicht verschwimmt dann unscharf im Hintergrund. Wie du mit Schärfentiefe umgehst, weißt du, oder? […]
Super Bild gewählt zur Erklärung der Schärfentiefe!
22 Gartenhaglatten scharf: f22
2 Gartenhaglatten scharf: f2.
Alles bisherige mit „je kleiner die Öffnung umso grösser die Zahl und umso hä…? 😁
Danke!
Yvonne
Hallo Yvonne,
danke für dein Feedback!
Und welch netter Hinweis – das mit den Zaunlatten habe ich so noch nicht gesehen :-D.
Schön, wenn dir der Beitrag die Schärfentiefe ganz pragmatisch näher gebracht hat.
Besten Gruß
Tilman
Eine gute Erklärung, besonders die Sache mit der „Zweidrittelregel“! Sachlich und pragmatisch..Genau, und an den alten Objektiven ist sogar noch der Bereich angeben, in dem die Schärfe da ist. Das nervt mich an den modernen Objektiven schon sehr. Wenn man manuell fokussieren will, hat man nichts zum Ablesen,
Da muss ich jetzt mal aber eine persönliche Bemerkung dazu machen. Wenn man in den Fotoforen so rumblätttert, ist die einhellige Meinung fast immer, dass man nur mit teuren Objektiven ab maximaler Öffnung f1,8 oder noch größer schöne Fotos machen kann. Natürlich ist es sehr einfach, ein Detail anzufokussieren mit offener Blende 1,7 oder so. Dann ist es schön „freigestellt“ und der restliche Inhalt einfach verschwommen im Nebel der Unschärfe. Mache ich auch gerne 🙂 . Das bedeutet aber doch nicht, dass ein Foto mit einem Objektiv, dass diese Fähigkeit nicht hat, deswegen „schlechter“ ist. So ein Bild verlangt vom Fotografen natürlich mehr ab, weil man Hintergrund und Vordergrund ins Bild einbauen muss und das Hauptobjekt gestalterisch herausarbeiten muss. Und ich bin auch immer wieder in diesem Zusammenhang erstaunt, was dann „Könner“ mit billigen Kitlinsen ohne das berühmte Bokeh alles so anstellen !
Ja, die 2/3-Regel ist aber nicht zu 100% korrekt. Aber als grobe Richtlinie taugt das schon.
Bokeh ist nicht alles, und vor allem kein Qualitätsmerkmal. Ich versuche, es zu nutzen, um die Bildaussage zu unterstützen. Aber es sollte nie zu Lasten anderer – besserer – Gestaltungsmöglichkeiten gehen. Die Gefahr besteht dann meines Erachtens, dass man beginnt, sich ausschließlich auf die einfache und recht banale Wirkung der Tiefenunschärfe zu verlassen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Wenn ich an Bilder denke, die mich in der Vergangenheit so richtig umgehauen haben, dann hatten alles andere, aber kein Bokeh…