Im September vergangenen Jahres habe ich begonnen, Straßenportraits zu machen. Gestern habe ich das letzte Portrait der insgesamt 30 Bilder gemacht, die im Juni als „Flensburg Faces“ ausgestellt werden.
Ein guter Zeitpunkt, vor der Ausstellungseröffnung kurz zurückzublicken. Hat mich diese Arbeit verändert, etwas „mit mir gemacht“?
Eine Sache, die mir zuallererst einfällt: Mir wurde eine Menge Vertrauen entgegenbracht. Zunächst bin ich teilweise skeptisch beäugt worden (was ich verstehen kann). Da kommt z.B. jemand mit Fototasche in eine relativ geschlossene Gruppe, die auch noch mit einem schweren Metallgatter signalisiert, dass sie lieber unter sich bleiben möchte. Die Hemmschwelle ist/ war mitunter physisch. Ohne die Unterstützung der Straßensozialarbeit hätte es wahrscheinlich wesentlich länger gedauert, das Vertrauen dieser Frauen und Männer zu gewinnen.
Wie ist es, fremde Leute auf der Straße zu fotografieren?
Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt, wie es ist, von einem Fremden auf der Straße angesprochen zu werden, der Straßenportraits macht. Persönlich fühle ich mich immer etwas „angegangen“, wenn ich so einfach angesprochen werde, sei es von gemeinnützigen Vereinen oder anderen Leuten, die für etwas werben. Es hat in mir etwas ausgelöst, dass ich mich immer wieder frage, wie ich eigentlich selbst wahrgenommen werde. Ich bin nicht der Mensch, der fordernd auf andere zutritt. Die Zeit hat mich gelehrt, behutsam und auch achtsam an die Menschen heranzugehen, sie – soweit möglich – nicht zu überfallen. Sich für ein Portrait zur Verfügung zu stellen, ungeschminkt, auf der Straße, mit allen sichtbaren Spuren, ist schon stark. Und so habe ich versucht, den Portraitieren dieses Bewusstsein auch zu vermitteln.
Nicht immer ist das gutgegangen, häufig wurde meine Frage mit einem Kopfschütteln beantwortet oder mit einem brüsken „Nein“. Ich bin einmal über eine längere Strecke zwei Menschen hinterhergegangen. Hoffte, dass ich sie fotografieren könnte. Als ich sie eingeholt hatte und fast überfallartig nach Straßenportraits fragte, sagten sie mir, dass sie auf keinen Fall fotografiert werden möchten, und außerdem zu einem Termin beim Arbeitsamt unterwegs seien. Fettnäpchen lauern überall, mittlerweile kann ich sie erahnen.
Was habe ich in dieser Zeit gelernt?
Über den eigenen Schatten ins kalte Wasser zu springen – dies konnte ich nun ausgiebig üben. Impulsen folgen, auf die eigene Intuition vertrauen. Hemmschwellen zu überwinden war bis dahin ein großes Hindernis. Ich habe vor diesem Projekt meist versucht, alles, was ich angehe, genau zu planen. Das tue ich nun nicht mehr, sondern achte vielmehr auf mein Bauchgefühl.
Mit meinen stereotypen Bildern musste ich erst einmal aufräumen. Es gibt mehrere verschiedene Straßen-„Szenen“, Gruppen, die sich auch übergreifend kennen. Von vielen Portraitierten kenne ich jedoch den Hintergrund nicht. Von einigen habe ich aber ihre Geschichte oder die aktuelle Situation kennengelernt. Die wenigsten die mir begegneten, sind tatsächlich obdachlos. Manche haben „Wohnprobleme“, manche haben eine eigene Wohnung, die sie wiederum anderen Wohnungslosen manchmal zur Verfügung stellen, wenn es kalt wird. Alkohol ist ein Thema, der Konsum von mitunter härteren Drogen auch. Dennoch habe ich eben auch Menschen getroffen, die komplett clean sind.
Viele sind, wenn man sie auf der Straße antrifft, lieber in Gemeinschaft draußen als alleine in der Wohnung. Trinken dort ihr Feierabendbier, vormittags, nach der Schicht. Denn, wenn auch Erwerbslosigkeit häufig zu finden ist, haben einige ihre festen Jobs.
Wie gesagt, manche Menschen habe ich in der Zeit näher kennengelernt, mit ihren mitunter erschütternden Geschichten. Andere wiederum sind mir einfach so begegnet, es gab nur einen kurzen freundlichen Austausch, aber keine richtige „Hintergrundinformation“. Und das ist legitim, es gibt Leerstellen zu füllen, eben auch von mir selbst. Ich weiß, dass jeder seine eigene Geschichte mit sich herumträgt, sei es jemand aus den sogenannten „Straßenszenen“ oder aus dem gesellschaftlichen Mainstream.
Wie geht es weiter?
Mit einigen der Portraitierten werde ich weitergehend fotografisch zusammenarbeiten. Einige Gesichter und Geschichten haben mich stark berührt, und daher will ich die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Verbindungen ausbauen. Es ist bei weitem noch nicht alles erzählt oder gezeigt. Weiterhin werde ich ab Juni mit dem Tagestreff Flensburg an einer Neuauflage des 1999 erschienenen Buches „Armut hat viele Gesichter“ arbeiten.
Die 30 Straßenportraits des Projektes „Flensburg Faces“ werden vom 02.06.2017 bis 30.06.2017 im Brasseriehof Flensburg zu sehen sein. Ab dem 24.08. zieht die Ausstellung dann in das Foyer des Rathauses Flensburg.