Wie kann Achtsamkeit mir helfen, meinen Blick auf die Welt zu ändern? Ganz einfach, wird der Guru sagen: Achtsamkeit ändert die Art, wie du wahrnimmst. Und so wird sich auch deine Wahrnehmung und eben auch deine Sicht der Dinge ändern. Wenn ich „Dinge“ sage, meine ich tatsächlich vornehmlich die dingliche Welt, aber natürlich auch, wie sich innere Zustände wie Freude, Angst, Verletzung, Trauer in den Menschen manifestieren.
Es ist ein etwas überstrapaziert scheinender Begriff, stolpert man doch mittlerweile an jeder Ecke darüber, wo er vor ein paar Jahren noch in der Esoterik-/ Spiritualitätsliteratur schlummerte. Und so wirkt es erstmal abwegig, so etwas in die Fotografie zu bringen. Schließlich geht es hier nicht um Aurafotografie oder ähnliches. Aber er scheint mir so wichtig, dass ich selbst nun schon zum zweiten Mal darüber schreibe.
Ich versuche, das einmal pragmatisch aufzurollen. Achtsamkeit. Der Begriff der „Achtung“ steckt darin. Achtung – wovor? Zunächst vor meiner Umwelt. Vor den Menschen, aber auch den Dingen, die sich mir manchmal erst nach einiger Zeit offenbaren. Vor meinem Motiv.
Aber ist das nicht gleichzusetzen mit Aufmerksamkeit? Oder Wachsamkeit? Das liegt ziemlich nahe. Und wenn ich fotografiere, muss ich aufmerksam sein. Und auch wach. Aber das trifft es beides nicht. Ich kann mich gerade hinsetzen, die Augen öffen und sagen „So, ich bin da. Wach und aufmerksam“. Ich würde das höchstens als die äußeren Merkmale des Achtsamen Sehens bezeichnen – aber ob ich im Inneren wirklich achtsam bin, darüber sagt das nicht viel aus. Die Nähe zu diesen Begriffen ist unvermeidlich, jedoch bilden sie immer nur einen kleinen Teil des ganzen ab.
Achtsamkeit? Meditation!
Vergangenes Jahr war ich auf einer Konferenz, und neben vielen Aspekten des täglichen Lebens gab es auch einen Vortrag von Gabi Raeggel zum Thema „Achtsames Gehen“. Und wer davon schon gehört hat, der wird unweigerlich auch an Meditation denken. Denn Meditation ist im Grunde eine ganz besondere Form der Achtsamkeit. Das achtsame Gehen kann man jederzeit und überall praktizieren (Wird unter anderem übrigens auch im Zen praktiziert). Man hält die Hände vor der Hüfte bzw. dem Bauch, und beginnt, langsam den einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zu spüren, wie die Ferse abrollt, der Ballen und die Zehen abrollen. Das eine Bein anzuheben und das andere Bein abzusetzen. Was ist das für eine Übung wirst du fragen – das kann ich vielleicht drinnen mal aus Spaß machen, aber draußen? Jeder wird mich für verrückt halten.
Ganz ehrlich glaube ich, dass niemand dich für verrückt halten wird – ich habe ja auch nicht gesagt, dass du das jetzt in der nächsten Fußgängerzone beim verkaufsoffenen Sonntag machen solltest, obwohl das wirklich eine hervorragende Übung ist, aus der Komfortzone zu kommen. Für viele Menschen, auch für Gabi Raeggel, war das ein Weg, aus ihrem Burnout und ihrem verschobenen Konsumverhalten herauszukommen. Und zwar deshalb, weil sie dadurch gelernt haben, Dinge unter der oftmals bunten, lauten und schillernden Oberfläche wahrzunehmen, die wesentlich tiefer liegen und eine ganz andere Qualität für ihr Leben haben. Zu diesem hoffentlich anschaulichen Ausflug gibt es hier ein sehr schön gefilmtes Beispiel, das sich viel Zeit nimmt.
How to shoot
Das Beispiel mag extrem anmuten, das jedoch vor allem deshalb, weil wir es nicht gewohnt sind, unsere eigene Geschwindigkeit einmal ganz bewusst herunterzufahren, ob es beim Gehen ist, beim Essen oder eben beim Fotografieren. Uns vielleicht auch gar nicht trauen, das zu tun, denn im nächsten Moment könnten ja schon alle tollen Fotogelegenheiten weg sein. Und das ist ein wichtiger Punkt, denn es geht auch darum, dass du loslassen lernst. Achtsamkeit in der Fotografie ist das Gegenteil von der Jagd nach dem nächsten sensationellen/ spektakulären Bild.
Auf lange Sicht wird es eine achtsame Sicht auf die Welt sein, die deine Bilder prägt. Du lernst Nuancen zu erfassen – und damit meine ich nicht nur Farb- und Grauabstufungen, sondern auch Stimmungen, Ausdrücke, minimale Änderungen in der Perspektive, die dem Bild das gewisse Etwas geben. Du wirst mit allen Sinnen dabei sein, dich nicht weiter nur von Oberflächlichkeiten leiten lassen. Du wirst tiefer blicken.
Darüber hinaus wird mehr Achtsamkeit in der Fotografie sich automatisch in andere Lebensbereiche ausweiten. Ob du nun darauf achtest, wie du dich beim Tippen am Laptop hältst, die Treppe hinaufgehst oder dein Mittagessen in einem überfüllten Asia-Imbiss zu dir nimmst und ganz bei dir bist. Achtsamkeit ist also ein Schritt zu persönliches Wachstum und Weiterentwicklung. Oh, und ja – auch zum achtsamen Essen gibt es ein schönes Buch.
Anfängerglück
Da fällt mir das Wort „Anfängerglück“ ein. Warum scheint es so etwas zu geben? Ich denke, dass Anfänger noch nicht so verkopft sind, häufig einfach und unverkrampft loslegen – bis dann unvermittelt die Regeln und Konzepte auf sie einprasseln. Und dann ist auch das Anfängerglück passé. Wenn du es schaffst, diesen Anfänger-Spirit in deine spätere fotografische Arbeit hinüberzuretten, hast du wirklich entweder Glück, oder du hast etwas ganz wichtiges gelernt: Die Neugier und das Staunen über die Dinge haben einen viel größeren Einfluss darauf, wie du was fotografieren wirst. Neugier und Staunen formen deinen Blick auf die Welt um dich herum. Und so wird sich auch deine eigene Fotografie entwickeln.
Fotografieren lernen heißt sehen lernen.
Ist es ein langer Weg? Nicht unbedingt. Es geht zwar um stetiges Üben (was ich hier nicht zum ersten Mal sage). Ob der Weg lang oder kurz ist, spielt eigentlich keine Rolle. Es bedeutet nicht, dass es lange dauert, bis man ein gutes Bild macht – es kann einfach und spontan passieren und schwups – ein außergewöhnliches Bild.
Je unbefangener von Konzepten und je weniger fokussiert auf Technik und Theorie du bist, umso unverkrampfter wirst du dich mit der Fotografie beschäftigen. Einfach, indem du mal alle Regeln über Bord wirfst. Lass die Kamera in den Hintergrund treten. So schwer das auch fallen mag. Sie ist das Medium, das Werkzeug. Sehen lernen – das ist es, worum es in der Fotografie geht.
[…] mich ist es eine andere Art, mich durch die Straßen zu bewegen. Ich gehe langsamer (achtsamer!), schaue mir viele Leute an und beschäftige mich immer wieder mit der Frage „Wie würde ich […]