In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder an Yogakursen teilgenommen. Auch wenn ich streckenweise längere Pausen vom Yoga gemacht habe, komme ich immer wieder auf ein paar Basisübungen zurück und habe einige Grundgedanken aus dem Yoga in meinen Alltag und die Fotografie übernommen.
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Im Yoga gibt es einige Entspannungsübungen, darunter wiederum eine bestimmte, die dich gedanklich durch deinen Alltag führt, indem du rückwärts von der jeweiligen Situation auf der Yogamatte zurück an den Morgen des Tages gehst. Das hat mich sehr beeindruckt, weil es eine sehr einfache Methode ist, die aber die Sichtweise auf die momentane Situation umkehrt und dir bewusst macht, wie du dich im Laufe des Tages gefühlt hast und wie du dich gegenwärtig fühlst. Dir wird auch wieder bewusst, warum du in der Situation (auf der Matte) bist und nicht woanders (z.B. zu Hause auf dem Sofa).
Da ich Yoga derzeit und immer wieder nur sporadisch ausführe, bin ich weit davon entfernt, so etwas wie ein Lehrer zu sein. Aber im Laufe der Jahre haben sich in mir ein paar Dinge gefestigt. Zum einen gibt es Basisübungen, die ich gerne mache und versuche, täglich zu machen. Ich habe gelernt, dass es sehr sinnvoll ist, am Ball zu bleiben. Neulich habe ich – nach Jahren – das erste Mal einen Kopfstand gemacht. Natürlich an der Wand, aber ohne fremde Hilfe. Das hätte ich so nicht gedacht, vielmehr war ich überzeugt, dass Kopfstand eben nichts für mich sei. (Bis dahin bin ich nie richtig hochgekommen. Im wahrsten Sinne des Wortes „den Arsch nicht hoch gekriegt“).
Was soll das alles sagen? Vom Yoga kannst du viele Ebenen auf dein eigenes Tun – Fotografie, Sport, berufliche Entwicklung, persönliches Wachstum, was immer es auch sei – übertragen. Ein paar Punkte dazu fallen mir spontan ein:
Gleichmut: Streetfotografie hat mit dem Verlassen der Komfortzone zu tun. Auf der Straße wirst du immer auch mit Ablehnung konfrontiert werden. Manche Menschen möchten einfach nicht fotografiert werden. Und das „Nein“ kannst du mit Gelassenheit eben Gleichmut hinnehmen, ohne, dass du es persönlich nimmst. „Gleichmut“ bedeutet aber nicht „Gleichgültigkeit“, oder dass dir bestimmte Dinge egal sein sollen. Vielmehr ist auch eine Ablehnung wichtig für deinen Entwicklungsprozess, und dafür kannst du sogar dankbar sein.
Alles ist eine Übung: Im Yoga kommt es nicht auf das Ergebnis an. Jeder Yoga-Übende – und auch die erfahrensten Yogis betrachten sich als Übende – hat andere körperliche und geistige Fähigkeiten. Es ist nicht Ziel, auch die anspruchsvollsten Übungen zu beherrschen. Sondern es geht um den Prozess und das stete Lernen. Daher werden auch die einfachen und für Nicht-Yogis banal wirkenden Grundhaltungen (Stehen, Liegen) immer wieder geübt.
Als Streetfotograf ist es eine Übung, regelmäßig vor die Tür zu gehen, sich in die Öffentlichkeit zu begeben, neue Sichtweisen zu finden, sich an eine Straßenecke zu stellen, zu warten, zu sehen, die Komfortzone zu verlassen und so weiter. Es geht nicht um Perfektion, es gibt keinen Schlusspunkt. Sondern deine Weiterentwicklung in deiner eigenen Geschwindigkeit ist es, was die Übung ausmacht.
Gegenwärtigkeit: „Ein Yogi lebt in der ewigen Gegenwart.“ Das habe ich mal in einem Yoga-Buch gelesen. Das klingt etwas komisch, denn du wirst sagen „Wieso, es gibt Vergangenheit und Zukunft, diesen Zeitstrahl, auf dem wir uns quasi bewegen und der für alle auf der Erde gleich ist.“ Und es gibt eben noch diesen seltsamen Moment dazwischen, der in unserem Bewusstsein immer eine Spanne von ein paar wenigen Sekunden ausmacht – die Gegenwart. Neben der physikalischen Zeit (im Alltag ist das die Uhrzeit) kannst du dein eigenes Zeitempfinden ändern. Wie war das in der Schule? Schulstunden krochen so dahin, während die Ferienwochen wie im Flug vergingen. Es gibt Yoga- und Achtsamkeitsübungen, die dein eigenes Zeitbewusstsein verändern.
Was hat das mit (Street-)Fotografie zu tun? Ich denke, eine ganze Menge. Wenn du auf der Straße unterwegs bist, musst du zwar manchmal schnell und geistesgegenwärtig (da ist es wieder, das Wort) sein. Auf der Straße bist du aber viel achtsamer unterwegs, als andere, die meist von A nach B hetzen, oder auf etwas warten. Du hetzt nicht, wartest nicht. Du beobachtest und siehst, wie die meisten anderen mit Terminen im Kopf und stetem Blick auf die Uhr unterwegs sind.
Als Übung kannst du beim nächsten Mal ganz bewusst deutlich langsamer als die anderen durch die Straßen gehen. Du kannst dich auf das Abrollen des Fußes auf dem Bürgersteig fokussieren und ruhig atmen und nach ein paar Minuten stellst du fest, dass alles um dich herum in wesentlich hektischer Bewegung und von der Uhrzeit bestimmt ist. Das alles schaltest du für die Stunden, die du unterwegs bist, tatsächlich ab.
Interessant: Während ich diesen Text schreibe, stelle ich fest, das der Gegenwärtigkeitsteil am längsten ist. Das hat mit der Gewichtung nichts zu tun. Denn tatsächlich hängen die drei Elemente (es mag noch mehr geben, aber dies sind die, die mir spontan eingefallen sind) untrennbar zusammen.
Du musst natürlich nicht zum Yogi werden, wenn du Fotografie betreiben willst. Aber für mich sind Gleichmut, stetes Üben und Gegenwärtigkeit einige der hilfreichsten Dinge in der (Street-)Fotografie und für das Leben allgemein. Probiere es selbst einmal aus!