Es ist ein stiller Wintermontagmorgen, ich stapfe durch den Wald, nachdem ich unseren Sohn zum Kindergarten gebracht habe. Was liegt heute vor mir? Über 1000 Bilder, die ich in den vergangenen Tagen geschossen habe und nun sichten darf. Glücklicherweise darf ich mir etwas Prokrastination gönnen.

Als ich einmal ein Bewerbungsgespräch bei einer Firma hatte – für einen festen Job, den ich nach 3 Jahren aus freien Stücken wieder kündigen sollte – fiel dabei mehrere Male das Wort „Wachstum“. Bereits damals hatte ich ein eher kritisches und skeptisches Verhältnis zu diesem Begriff, wenn er auf wirtschaftliche Aspekte, oder konkret gesagt, auf Firmen angewandt wurde. Später, als ich die MinimalKon in Essen besuchte, hörte ich jedoch von „persönlichem Wachstum“. Wachstum muss also nicht immer schlecht sein, und es muss auch nicht immer um ökonomische Aspekte gehen.

UPDATE Vergangene Woche fand die Konferenz ZukunftsGestalten in Flensburg statt, von der ich einige sehr interessante und wichtige Impulse zum Thema „Postwachstum / DeGrowth“ mitgenommen habe. Den geneigten LeserInnen kann ich u.a. das Buch „Momo“ von Michael Ende sehr empfehlen (ernsthaft).

Beharrlichkeit - ein Mittel, HIndernisse zu überwinden.
Beharrlichkeit – ein Mittel, Hindernisse zu überwinden.

Wie kann jedoch ein persönliches Wachstum stattfinden? Ich glaube, es braucht Reize. Wie ein Muskel beim Training, sind gezielte Reize erforderlich, damit – um es auf die kreative Ebene zu bringen – in dir die Bereitschaft und Offenheit entsteht, andere Sichtweisen zuzulassen.

Risiken und Nebenwirkungen

So wie ich vorhin durch den Schnee gewandert bin, kam mir der Gedanke, was wäre, wenn ich vor einer weiten, weißen Landschaft stünde, ohne irgendeinen Anhaltspunkt, ohne etwas an dem ich mich orientieren könnte. Ich könnte umkehren, mich hinsetzen, warten, dass der Schnee schmilzt. Oder weitergehen. Wenn du also lost bist, was wäre deine beste Option? Nach meiner Ansicht: Weitergehen.

Chaos ist häufig eine Form von komplexer Struktur.
Manchmal hilft ein Perspektivwechsel – stell‘ dich mal auf den Kopf!

Um weiterzugehen, benötigst du einen gewissen Antrieb. Das kann Angst sein. Aber auch Neugier, Hunger nach dem Unbekannten. Als ich für Flensburg Faces auf der Straße war, ging ich viel zu Fuß und ertappte mich dabei, dass ich immer die bekannten Wege und Straßen entlangging. Sobald ich das bemerkt hatte, fing ich an, ganz bewusst andere Wege einzuschlagen, aus meinen Wanderungen ein Spiel zu machen. Mich kurz vor einer Abzweigung umzuentscheiden, ob ich nun links oder rechts gehen sollte. Wäre ich nicht von dem altbekannten Weg abgewichen, hätte ich manche Begegnung (und manche Gelegenheit, zu fotografieren) nicht gehabt.

Werkzeuge

Bücher (buy books not gear!), Videos, Austausch mit anderen. Workshops. Deine Motivation braucht Nahrung, Treibstoff. David DuChemin hat ein sehr gutes Video dazu gemacht. Aber sie braucht auch die richtige Nahrung, denn sonst geht sie flöten.

Wenn du z.B. nicht sicher bist, was dein Thema ist, ist es schwer, überhaupt etwas Kreatives zustande zu bringen (jedenfalls geht es mir so). Es muss nicht gleich eine krasse Kindheitserinnerung (oder besser: Trauma) sein, wie J.P. Witkin sie hatte, und die er in seinen Fotografien verarbeitet. Um herauszufinden, was dich im Innersten bewegt, und was sich als übergeordnetes Thema zeigt, kannst du Morgenseiten schreiben. Meditieren. Laufen. Oder einfach mit dem Fotografieren loslegen und sehen, was sich in deinen Bildern zeigt – ob es Dinge gibt, die du gerne fotografierst oder Perspektiven auf deine Umgebung, die du bevorzugt einnimmst.

Platz für Neues schaffen. Alte Denkmuster aufbrechen.
Platz für Neues schaffen. Alte Denkmuster aufbrechen.

All das sind natürlich nur Beispiele dafür, wie du dich (d)einem Thema näherst. Deine Tools können ganz anders aussehen, für mich funktionieren sie.

Herausforderungen und Angst

Altes über Bord werfen, wie ein Baum seine Blätter abwirft oder ein alter Zahn Platz für einen neuen macht: Häufig ist so ein Prozess mit Verlust oder Schmerz behaftet. Bis das „Neue“ nachwächst, dauert es einige Zeit. Aber auch an solchen Herausforderungen, andere Wege zu gehen, zu scheitern, Angst zu haben, dich bei Wiederholungen zu ertappen (bis – wie Neo Rauch es nennt – der „Wiederholungsekel“ einsetzt) wirst du zweifellos wachsen.

Habe ich Angst? Ich würde lügen, wenn ich „nein“ sagte. Jedoch ist Angst Teil meines Triebwerks, meiner Motivatoren.

Workshops als Triebfeder

Ich selber ziehe einen großen Teil meiner fotografischen Motivation aus Workshops, an denen ich entweder selber teilgenommen habe oder die ich gebe. Wenn du fotografisch weiterkommen willst und einen Blick über den Tellerrand wagen möchtest, dann ist vielleicht einer meiner Workshops etwas für dich.

Nenn‘ mir deine Wachstums-Motivatoren!

Woraus ziehst du deine Motivation? Gibt es etwas, das dich besonders kickt, einen Moment, der dich aus der Komfortzone geholt und dich kräftig gerüttelt hat? Wie ist deine eigene Sicht auf den Wachstumsbegriff? Wenn dir dazu etwas einfällt (oder du mich etwas fragen möchtest), schreibe etwas in die Kommentare. Ich freue mich, von dir zu hören!

2 Responses
  1. Michael Teuber

    Genau wegen dieser Beiträge lese ich mit Vergnügen regelmässig Deinen Blog!

    Fotografieren ist für einen Amateur wie mich kein Selbstzweck, sondern eins von vielen (für mich das einzige) Mitteln, sich selber auszudrücken und (vielleicht) zu finden. Ich kann nicht singen oder zeichnen und malen. Als Kind hatte ich auch nicht die Gelegenheit, ein Musikinstrument ausser der Schulflöte zu lernen. Mein Antrieb ist, mich auszudrücken und vielleicht verstanden zu werden hinsichtlich dem, was ich sagen will. Ich denke, jeder, der heute mit der Fotografie anfängt, wird zunächt mal von der schönen Technik überwältigt sein und ihn überfällt eine gewisse Zeit der Wachstumsfaktor Ausrüstung. Nach einer gewissen Zeit wird er aber merken, dass ihn dieser Wachstumsfaktor keinswegs weiterbringt, sondern eher bremst. Hier kommt dann der Punkt, wo man alles in Frage stellt. All die schönen Nachtaufnahmen mit dem teuren Stativ und die ND-Filteraufnahmen von Wasserfällen sind nämlich schon hunderttausendmal gemacht und, wenn man ehrlich ist, von sehr vielen besser als man es selber kann. Und genau hier muss man dann anfangen zu wachsen an sich selber und von vorne anfangen und eine ganz andere Art der Fotografie erlernen. Die, die man aus den Büchern und Ausstellungen her kennt und sich immer gefragt hat, wie haben die das nur gemacht? Das Tröstliche an dieser Erkenntnis ist dann, dass diese Fotografen auch nicht als Meister vom Himmel gefallen sind. Wahrscheinlich haben sie sehr viel früher angefangen als man selber und darum eine Meisterschaft erlangt, die man selber nie erreichen wird. Nichtsdestotrotz kann man an seiner Unfertigkeit und seinem Unvermögen wachsen und versuchen, Schritt für Schritt, wie bei allen Dingen, besser zu werden und das, was man eigentlich sagen will, besser ausdrücken zu lernen. Und, was ich noch ganz wichtig finde, man muss es für sich tun. Social Media sind kein Wachstumsziel. Eher im Gegenteil. Man verfällt in die Wiederholung, um zu gefallen. Das ist auch eine ganz schwer zu verdauende Erkenntnis, die man aber hinehmen muss, wenn man wirklich wachsen will.

  2. […] Ich hoffe, das Beispiel hat es ganz gut ‘rübergebracht. Einfach machen – das lässt sich auf 2 Arten interpretieren: 1. Lege einfach los, mach’ Fehler und entdecke auf diesem Weg Neues; 2. Überfordere dich nicht mit Ausrüstung. Nimm das einfachste Setup, Objektiv, Licht, Hintergrund oder was auch immer – und mache etwas daraus. Du merkst, dass auch schon die einfachen Kombinationen komplex werden können. Du wirst sie meistern und daran wachsen. […]