Neulich gab ich einen VHS-Kurs zum Thema „Richtig gute Bilder machen“. Ziel der Veranstaltung war, dass die TeilnehmerInnen mit den Basics der Bildgestaltung vertraut werden. Sie sollten neue Blickwinkel und Blicke entwickeln, und aus den gewohnten Sichtweisen ausbrechen. Sie sollten Altbekanntes neu sehen lernen.

Zu Beginn fragte ich, was denn ein „richtiges“ und „gutes“ Bild ausmachen würde. Die Schärfe sollte an der richtigen Stelle sitzen, die Farben sollten stimmig sein, so zwei Antworten. Ich ergänzte noch unter anderem, dass der Bildinhalt, die Aussage, klar sein sollte.

Nun frage ich, ob die Bildaussage immer für jeden Betrachter klar sein muss. Ob ein Bild immer scharf sein muss. Ob Farben immer „stimmen“ müssen. Und das wirft die Frage auf: Was „stimmt“ eigentlich? Was ist Wahrheit? Bildet Fotografie Wahrheit ab? Ich sage einfach mal, es ist die Wahrheit des Fotografen, die die Kamera abbildet. Und diese Wahrheit sagt viel über den Fotografen aus. Ich hoffe und denke, dass die Kursteilnehmer mehr mitnehmen konnten, als lediglich ein paar Gestaltungsregeln.

Vergangenes Jahr las ich ein Buch zum Thema Bildanalyse nach dem 4-Augen-Modell. Das fand ich recht interessant, zumal der Verfasser, Martin Zurmühle, sich an einer Kommunikationstheorie („Die 4 Seiten einer Nachricht“, F. Schulz von Thun) orientiert. Und Fotografie ist Kommunikation mittels Bildsprache. Die 4 Seiten einer guten Fotografie, die ganz unterschiedlich gewichtet aber meines Erachtens nicht isoliert sein können, sind Form, Erzählung, Emotion und die Anschauung des Künstlers.

Was ist ein gutes Bild für mich? Es muss etwas in mir auslösen. Etwas berühren. Es muss aber auch nicht immer auf den ersten Blick klar sein, worum es geht; es darf Fragen stellen und aufwerfen und dann einen Aha-Moment auslösen. Wenn es das schafft, ist es ein gutes Bild für mich. Ich mag scharfe Bilder, keine Frage. Aber sehe ich Bilder von Annie Leibowitz (ja, auch ihre Bilder sind technisch nicht immer perfekt), Sarah Moon, Nobuyoshi Araki oder das World Press Photo 2016 von Warren Richardson, so wird mir klar, dass ein gutes Bild von ganz anderen Merkmalen geprägt ist als Schärfe oder Farbe. Jörg Oestreich hat dazu auch einen lesenswerten Artikel geschrieben (mit einem treffenden Zitat von Andreas Feininger).

Es gibt Gestaltungsregeln. Es ist gut, sie zu kennen. Es ist gut, sie zu benutzen. Und meistens funktionieren sie. Doch wenn du feststellst, dass du nur noch die Drittelregel oder welche auch immer befolgst, tritt aus ihrem Bannkreis und mache einmal etwas ganz anderes. Es lohnt sich.

4 Responses
  1. Hallo Tilman,

    eigentlich habe ich mit Fotografie ja nicht besonders viel zu tun (außer ein paar illustrierenden Bildern für den Blog – wir hatten ja auf Twitter darüber geredet), aber trotzdem lese ich gerne bei dir. Deine Texte bringen mich immer dazu, Bilder, die ich auf anderen Seiten sehr, neu zu betrachten.

    Ab sofort werde ich mich bei den Bildern für unseren Blog vermehrt fragen, welche Emotion damit ausgedrückt werden – und was damit über mich als „Fotografin“ (eher: Auslöser-Drückerin) ausgesagt wird. Danke für den Input!

    Liebe Grüße, Svenja

    1. Tilman

      Hallo Svenja,

      danke dir für dein Feedback! Es freut mich zu hören, dass ich es immer mal wieder schaffe, andere zu motivieren oder zu inspirieren. Natürlich werde ich auch eurem Food-Blog mal wieder einen Besuch abstatten ;-)!

      Lieben Gruß
      Tilman

  2. Ein für mich gutes Bild ist eines, welches mich fesselt und emotional mitnimmt.
    Je mehr Leute es mitnimmt, umso besser mag es sein. Muss aber nicht…
    Jedenfalls trifft das auch so mein Empfinden.
    Technische Perfektion ist für mich nur zweitrangig, es gibt Sujets, da ist sie Essentiell.
    Und nebenbei… Gestaltungs“regeln“… ist meiner Meinung nach der falsche Begriff.
    Es wird nichts reglementiert, es ist mehr ein Leitfaden, um Spannung zu erzeugen oder auch nicht oder um den Blick gezielt zu lenken. „Regeln schränken ein. Das sollen sie in der Fotografie nicht.
    LG
    Michael

    1. Tilman

      Hallo Michael,
      ich denke auch, dass „Regeln“ vielleicht ein etwas starrer Begriff ist. „Leitfaden“, wie du sagst, oder „Gestaltungsgrundsätze“ wäre vielleicht passender. Für mich ist es so, dass ich ein Motiv gerne daraufhin untersuche, ob es nach diesen Grundsätzen gut aussieht. Aber selbst wenn es das tut, wäre es falsch, einzupacken und nachhause zu gehen. Die Frage, die man sich dann stellen sollte, ist, wie kann es denn noch aussehen, indem ich das ganze Gestaltungskonzept einmal über Bord werfe. Oft entstehen dann die interesanteren Bilder…