Wovor hast du Angst?

Die vergangenen Monate, in denen ich am Projekt mit dem Arbeitstitel „Flensburg Faces“ gearbeitet habe, waren von einer intensiven Auseinandersetzung mit Menschen auf der Straße geprägt.

Auf Leute zuzugehen war nie meine Stärke. Wenn ich mich also einem Projekt widme, dass den Menschen zum Thema hat, muss ich mich überwinden oder gar zwingen, auf Menschen zuzugehen.

Unausweichlich wurde ich hier mit dem Thema Angst konfrontiert, meiner eigenen Angst, aber auch der Angst der Anderen (So bemerke ich häufig, wenn ich Menschen auf der Straße anspreche, einen skeptischen, teilweise furchtvollen Blick in Richtung meiner rechten Hand, die die Kamera hält).

Wenn ich von der eigenen Angst spreche, dann ist das häufig eine diffuse Art von Angst, vor dem Unbekannten, Unerwarteten, Unberechenbaren. Es kann aber auch ganz konkrete Angst sein, z.B. vor verbaler oder physischer Konfrontation oder davor, dass man sich in der Öffentlichkeit lächerlich macht und nicht ernst genommen wird. Oder einfach auch vor der Ablehnung.

Aber ganz ehrlich: Was soll schon passieren?

Tatsächlich wird dich im Normalfall niemand angreifen oder dir die Kamera wegnehmen. Wenn jemand nicht möchte, dass du ihn/ sie fotografierst, sei einfach freundlich, sage, dass du das respektierst und geh‘ weiter.

Die negativen Reaktionen, die ich auf meine „Annäherungen“ erhalten habe, waren meist höflich. Leute meinen häufig einfach, dass sie nicht fotogen seien und deshalb nicht fotografiert werden möchten. Manchmal erntete ich ein wortloses Kopfschütteln, oder ein gemurmeltes „Kein Interesse“. Einmal hatte ich einen Betrunkenen gefragt (dass er betrunken war, merkte ich erst nachdem ich ihn angesprochen hatte), und der war doch eher ablehnend bis aggressiv. Aber das war ein einziges Mal, und auch das war harmlos.

Was Eric Kim auch immer wieder betont, habe ich ebenso erfahren. Unsympathisch erscheinende Menschen reagieren häufig erstaunlich offen auf meine Anfragen und sagen ebenso oft auch, dass ich mit den Bildern tun darf, was ich will.

Allerdings ist mir auch schon passiert, dass ich eher halbherzig auf jemanden zugegangen bin. Dass ich dann eine ablehnende Reaktion zurückbekommen habe, war dann umso verständlicher, weil ich nicht überzeugend (oder überzeugt) genug war.

Persönliches Wachstum

Wenn du es geschafft hast, deine Angst (ich benutze hier einfach mal die Einzahl, auch wenn es natürlich mehrere verschiedene Ängste sein können, die dich „fesseln“) zu überwinden, wird dies dein Selbstbewusstsein stärken. Du wirst nicht mehr einfach Situationen oder Szenen an dir vorbeigehen lassen und denken „hätte ich mal den Mut gehabt…“. Du wirst viele Menschentypen kennenlernen und Erfahrungen machen, die du wahrscheinlich so nicht erwartet hättest. Leute, von denen du im Leben nicht geglaubt hättest, dass sie sich fotografieren lassen würden, sagen einfach „Klar, warum nicht!“

3 Tipps

Ich habe einmal versucht, es auf 3 einfache Grundregeln zusammenzudampfen, die mir geholfen haben (und immer noch helfen):

  1. Schalte den Kopf ab und sei spontan. Denke nicht darüber nach, was sie sagen könnte, sondern denke an das Bild, das du machen wirst (du wirst nicht nur eins, sondern so viele wie möglich machen müssen, um das beste auszuwählen). Wenn du jemanden interessant findest, gehe auf jeden Fall auf die Person zu und frage sie. Ich habe mich selbst beobachtet und festgestellt, dass ich, wenn ich nur einen Moment zu lange nachdenke, entweder die Person außer Sichtweite ist oder ich den Mut verliere und mir sage, dass die betreffende Person sowieso nicht gewollt hätte.
  2. Habe immer ein paar gute Argumente parat. Nicht nur für andere, auch für dich. Werde dir also zuerst einmal klar darüber, warum du selber auf die Straße gehst, um Leute zu fotografieren. Du kannst Komplimente machen, oder sagen, dass du ein Gesicht interessant findest. Sag, dass du das Leben auf der Straße ungeschminkt dokumentieren willst. Lasse dir etwas einfallen, aber sei ehrlich dabei.
  3. Trocken üben ohne auszulösen. Fordere dich einmal (oder besser regelmäßig) heraus und übe, besonders nah an Menschen heranzugehen. Du kannst dabei die Kamera am Auge haben. Nimm die Kamera dabei nicht vom Auge, mache aber kein Bild. Fange mit ein paar Schritten Entfernung an, und verkürze die Entfernung allmählich, bis du nur noch eine Armeslänge von der Person entfernt bist. Was heißt „allmählich“? Du kannst dir z.B. vornehmen, jeden Tag etwas näher an Leute heranzugehen. Achte einfach mal darauf, wie du dich daran gewöhnst und auch, wie andere auf dich reagieren. Dafür bietet sich an, eine Festbrennweite (Normal- bis Weitwinkelobjektiv) zu verwenden.

Nr. 3 kostet mich selbst auch immer wieder am meisten Überwindung. Aber wenn du Bilder machen willst, die anders sind, als mit dem Tele aus der Komfortzone heraus aufgenommen, wird dies für dich ein wichtiger Schritt sein. Deine Bilder werden eine Nähe zeigen, die sonst nicht möglich ist. (Das bedeutet wiederum nicht, dass du den Leuten unerträglich nah auf den Pelz rücken sollst, aber die Naheinstellgrenze deines Objektivs (zwischen 0,7 und 0,9 m) bildet einen guten Anhaltspunkt.

Heißt das, dass nur Streetfotos gut sind, die aus möglichst naher Distanz aufgenommen sind? Ganz bestimmt nicht. Es geht hier „nur“ darum, dass du dich mit der Nähe zum Motiv und den damit verbundenen Ängsten und Zweifeln direkt konfrontierst.

Im Prinzip war und ist es für mich die Gewöhnung an das Fotografieren im öffentlichen Raum, so dass es sich nicht mehr komisch anfühlt, wenn ich auf der Straße banale Dinge wie leere Fenster oder Müll oder Liegengebliebenes fotografiere. Ich tue das, ohne dass ich mich verstecke oder versuchen muss, mich unsichtbar zu machen.

Also: Erwarte nicht, dass alle verstehen, was du da tust. Aber tue es einfach.

1 Response
  1. […] gewissen Antrieb. Das kann Angst sein. Aber auch Neugier, Hunger nach dem Unbekannten. Als ich für Flensburg Faces auf der Straße war, ging ich viel zu Fuß und ertappte mich dabei, dass ich immer die bekannten […]