Schwarzweiß sehen lernen

In den vergangenen Wochen (oder sind es schon Monate?) haben sich zwei verschiedene Beiträge bzw. Veröffentlichungen bei mir auf dem Tisch bzw. in der Playlist festgesetzt. Der erste Beitrag – der auf dem Tisch – ist ein Buch über Schwarzweiß-Fotografie, der zweite ein YouTube-Video.

Und genauso würde ich die beiden Ansätze auch trennen oder bezeichnen wollen: Den analogen und den digitalen Weg. Und beide führen im Prinzip zum gleichen Ziel, überschneiden und ergänzen sich.

T. A. Hoffmann, Workshop kreative Schwarzweiß-Fotografie

Die Herangehensweise von Torsten Andreas Hoffmann bezieht die Aufnahme und die Entwicklung in der (analogen) Dunkelkammer ein. Das heißt, er gibt von Anfang an wertvolle Tipps, was bei der Aufnahme zu beachten ist, welche Filter man bei Schwarzweißfilmen einsetzt und wie man die Details, Lichter und Schatten in der Dunkelkammer so herausarbeitet, dass daraus das kraftvolle Bild wird, das man vor dem geistigen Auge hatte.

Buch von Andreas Hoffmann

Hoffmann arbeitet in diesem Buch ausschließlich mit Schwarzweißfilm. Das bedeutet, dass zum einen die Anzahl der Aufnahmen um einiges eingeschränkter ist. Kein Spray and Pray, und zum anderen auch keine spätere Konvertierung in Schwarzweiß. Und genau wie auch Eileen Rafferty sagt, führt das dazu, dass du dir vor der Aufnahme ganz klar darüber sein musst, ob und warum du auf den Auslöser drückst.

Mit Schwarzweißfilm hast du keine Möglichkeit, später den Kanalmixer zu bemühen und einzelne Farbtöne heller oder dunkler zu machen. Das muss zum großen Teil vorher geschehen, indem du Filter einsetzen kannst, beim Vergrößern nachbelichtest oder abwedelst, dir vor allem aber auch anschaust, wie sich die Strukturen, Linien, Formen, Gesten, Proportionen – schlussendlich die gesamte Komposition – auf das Bild und seine Aussage auswirken.

Alles in allem ein klassisches Buch, wenn man in die analoge Schwarzweißfotografie einsteigen will. Viele Beispiele aus Landschafts-, Architektur-, Street- und Portraitfotografie machen es darüber hinaus zu einem schönen Nachschlage-Herumblätter-Werk.

Eileen Rafferty, Seeing in Black and White

Eileen Rafferty geht von einer anderen Seite an das Thema. Auch wenn sie selber viel mit analoger Fotografie experimentiert, schildert sie anhand der digitalen Konvertierung von Farb- in Schwarzweißbilder, worauf man achten muss, um ein starkes Bild zu bekommen.

Unterschiedliche Farbtöne derselben Helligkeit erzeugen denselben Grauton. Und das ist auch noch unabhängig davon, ob die Sättigung nun hoch oder niedrig ist. Das ist eine der Aussagen, die ich für mich aus diesem recht langen Videovortrag herausgezogen habe. Das, was du im Farbbild als starken Kontrast empfunden hast, sagen wir einen intensiv blauen Himmel über vom Sonnelicht orange eingefärbten Wüstensand, erzeugt nach der Umwandlung in Schwarzweiß gähnende Langeweile. Beides – Himmel und Wüste – haben nämlich erst einmal denselben Grauton.

Als Beispiel ein Screenshot des Farbkreises herhalten, den ich einfach mal entsättigt habe.

Gimp-Palette, einmal in Schwarzweiß

Rafferty legt großen Wert darauf, dass man sich bereits vor der Aufnahme überlegt, ob ein Bild auch oder besonders in Graustufen gut ‚rüberkommt. Die vorherige Beurteilung ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Sehen Lernens. Sie gibt unendliche viele Bildbeispiele, bezieht das Publikum mit ein. Ein Versuch, den du selber einmal am Rechner machen kannst – wie ich das oben gamacht habe – ist, dir mit Photoshop oder Gimp einmal den direkten Vergleich vor Augen zu führen. Nimm dir auch einmal ein paar deiner farbigen Lieblingsbilder, und überlege, ob sich die Umwandlung in Schwarzweiß lohnt. Und erst danach wandelst du das Bild im Bildeditor deiner Wahl um. Was siehst du? Lebt das Bild durch seine starken Farben, oder bringt erst die Umwandlung in Schwarzweiß die Struktur zur Geltung, von der die Farbe vorher abgelenkt hat?

Du merkst, es gibt viele Wege, sich der Schwarzweißfotografie anzunähern. Bestimmt hast du schon einen ganzen Fundus an Farbbildern, mit denen du spielen kannst. Teilweise wirst du schon auf den ersten Blick beurteilen können, ob sich dahinter ein gutes Schwarzweißbild verbirgt. Probiere es aus! Wenn es nicht gut aussieht, halte beide Versionen nebeneinander. Was sind die Stärken der einen, und was die Schwächen der anderen? Durch solche kritischen Beobachtungen wirst du schließlich ein Auge für Schwarzweiß entwickeln.

2 Responses
    1. Tilman

      Prima! Ich kann mir vorstellen, dass du da einige gute Impulse bekommst. Nicht nur, was die Analogfotografie betrifft, sondern auch von der Komposition her ist es ein schönes Buch.
      Gruß
      Tilman