Ich habe nicht alle aufgekommenen Fragen, Anmerkungen und Beiträge, die bei der Vernissage zum Projekt „Flensburg Faces“, aufgekommen sind, ausreichend beantwortet bzw. erläutert. Daher gibt es hier einen kleinen Nachtrag.

Wer ist zu sehen? Menschen, deren Gesichter Geschichten erzählen, die mitunter viel gesehen und erlebt haben. Das Stichwort „Elend“ wurde erwähnt, und ich denke selber nicht, dass wir uns das Elend ansehen, wenn wir diese Bilder und Menschen betrachten. Der Sinn der Ausstellung und des gesamten Projekts ist nicht eine Zurschaustellung, sondern vielmehr eine Sichtbarmachung. Es soll kein Voyeurismus befriedigt und bedient werden. Wenn das meine Absicht wäre, die Bilder würden anders aussehen.

Eine Anmerkung zum „Lächeln“ bzw. dessen Fehlen: Wenn man sich die Bilder genau ansieht, bin ich überzeugt, dass es keine hoffnungslosen Gesichter sind. Manche schauen ernst. Meine einzige Vorgabe war, mich während der Aufnahmen zu ignorieren. Ob man dabei lächelt oder nicht, war mir mehr oder weniger egal. Manche haben ein kaum erkennbares Lächeln in den Augen, andere schauen freundlich. Auch, wenn das nicht jeder erkennen möchte und auch, wenn es Personen sind, die im Leben viel Negatives erfahren haben, drücken die Bilder für mich eine gewisse Würde, Selbstbewusstsein und Hoffnung aus: „Hier bin ich, und so sehe ich aus. Seht mich an.“

Was ist das Projekt nicht? Es ist kein repräsentativer Querschnitt durch die Flensburger Bevölkerung. Es gibt keine „Quote“, die ich erfüllen möchte, sondern es ist das Ergebnis von mehr oder weniger zufälligen Begegnungen.

Die Menschen so aufzunehmen, wie ich sie in dem spezifischen Moment wahrnehme, und wie sie sich mir zeigen, war meine Absicht. Dazu mussten sie mir nichts vorspielen. Vielmehr mussten sie ihren Schutzschild fallen lassen, ggf. sogar ihr zunächst aufgesetztes Lächeln ablegen.

Mein eigener Blick – was oder wen sehe ich, wenn ich morgens/ vormittags durch die Stadt gehe, ggf. andere Wege einschlage als geplant, soll hier deutlich werden. Wer zieht mein Interesse auf mich?

Der Begriff „Ego-Perspektive“ fiel auf der Eröffnung zur Ausstellung. Ich nehme ihn wörtlich und ja, natürlich sagen die Bilder auch etwas über mich aus. Natürlich habe ich einen subjektiven Blick, und auch meine vorgefertigten Bilder und Stereotypen. Durch die Begegnung mit den Menschen musste ich manche meiner Auffassungen revidieren. Allerdings ist „Flensburg Faces“ kein Selbsterfahrungs-Projekt, auch wenn ich selber viele neue Erfahrungen dabei gemacht habe.

Mein Anliegen ist, hoffe ich, hiermit etwas klarer geworden. Es gibt viele Wege, ein solches Projekt fotografisch umzusetzen. Dies kann einer davon sein.

5 Responses
  1. Gretchen Müller

    Mich bewegen die Bilder sehr. Sie werfen für mich elementare Fragen auf, lehren mich, genau hinzusehen, Uneindeutigkeiten auszuhalten, Zuweisungen zu hinterfragen – wichtig auf so vielen Ebenen in der heutigen Welt.
    Wer ist hier der Zimmermann, wer die Altenpflegerin, wer der Rentner, der Trinker, der Fischer, der Student? Wer kommt woher? I don’t know…
    Es beeindruckt mich tief, wie innerhalb einer meist 5minütigen Begegnung solch‘ intensiven Bilder entstanden sind, in denen sich Fotograf und Portraitierte(r) auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen.

    1. Tilman

      Danke dir für den Beitrag. Schön geschrieben und gut erfasst. Ganz sicher geht es in einem solchen Projekt um elementare Fragen. Und wenn ich mit den Bildern etwas dazu beitragen kann, ist das ein gewisser Erfolg.
      Gruß
      Tilman

  2. Moin,

    ich fand die Ausstellung überaus gelungen.

    Schade finde ich , das die doch so groß scheinende Fotoszene in der Region nicht den Arsch hochkriegt und sich so etwas live reinzieht. Es sind nicht nur die Bilder einer Ausstellung sonder auch das drumherum, die Gespräche , das Gefühl. Und das war an dem Abend sehr positiv.

    Weiter so.

    VG Heiner

    1. Tilman

      Heiner,

      danke für dein Feedback! Ich habe auch ein paar Leute vermisst – nicht nur Fotografen, sondern auch Portraitierte. Aber gut, ich war generell happy, dass es doch einige Interessierte gab, die auch durchaus kritische Fragen gestellt haben. Besser so, als ein kritikloses „Durchwinken“.

      Ich habe mich übrigens gefreut, dich auch mal live kennenzulernen!

      Gruß
      Tilman