Wir als Fotografen sind eine Spezies, die besonders häufig von G.A.S. (Gear Acquisition Syndrome) betroffen zu sein scheint. Es ist ein psychologisches Phänomen, das dir suggeriert, etwas unbedingt haben zu müssen. Du glaubst, dass es ohne neue Kamera / Objektiv / sonstiges Zubehör nicht mehr geht und du dringend etwas dagegen tun musst.

Woran erkennst du G.A.S.?

Wenn innere Stimmen dir zuflüstern

  • Ich brauche ein Upgrade
  • Ich brauche ein Backup
  • Meine Kamera ist veraltet
  • Kamera XYZ macht bessere Bilder
  • oder (irgendeine andere Ausrede)

dann weißt du, was ich meine. Und auch ich nehme mich da nicht heraus.

Ein Beispiel gefällig? Neulich sah ich ein Youtube-Video, in dem sehr schöne Portrait- und Boudoiraufnahmen gemacht wurden. Nur bei Available Light, mit einer – jetzt auch nicht mehr so aktuellen – Canon EOS 5D M3 und einer Nikon D750. Jeweils mit einer Standardbrennweite. Eine minimale Ausstattung, die aber etwas in mir auslöste. Siehe da: ein Anflug von G.A.S. Ich konnte beobachten, wie sich in mir der kurze Impuls regte, auf eine dieser Kameras umzusteigen. Dass es wahrscheinlich total toll ist, damit zu hantieren, und dass die Bilder, die ich damit machen würde, mindestens ebenso gut werden. Dazu muss ich sagen, dass ich bereits meine – positiven – Vollformaterfahrungen mit der D700 gemacht hatte.

Aber der psychologische Effekt war schon erstaunlich. Einen Moment später kam mir der Gedanke: Was wäre gewesen, wenn die Fotografin in dem Video anstelle der Canon meine Fuji in der Hand gehabt hätte? Ganz enfach: Die Bilder hätten genauso ausgesehen. Und wäre ich im Besitz einer 5D gewesen, hätte ich den Impuls gehabt, mir eine Fuji-Crop-Kamera zu kaufen. Dieser kurze Perspektivwechsel hat mir förmlich die Augen geöffnet.

Was kannst du dagegen tun?

Als Zack Arias nach einer etwas vor sich hindümpelnden Karriere es noch einmal richtig wissen wollte, hatte er nur eine Kamera und ein Objektiv zur Verfügung. Schlicht aus monetären Gründen. Damit hat er dann ungefähr ein Jahr lang alles fotografiert, was ihm an Aufträgen in die Finger kam. Und nach seiner Aussage hat er dadurch gelernt, aus der minimalen Ausrüstung alles herauszuholen, was ging. Hat die Grenzen ausgelotet.

Merke: Eine bessere Kamera macht dich nicht zum besseren Fotografen.

Ich habe einmal zu einem befreundeten Fotografen gesagt, dass man im Prinzip nur eine Brennweite (bevorzugterweise die Standardbrennweite) benötigt. Wenn man damit nicht schafft, gute Bilder zu machen, dann wird man es auch nicht mit einem anderen Objektiv können. Es ist eine Sache der Einstellung und der Fähigkeit, Probleme zu lösen. (Noch einmal bemühe ich hier Zack Arias, der sich schon mehr als „Problem Solver“ denn als Fotograf sieht.)

Klar, für manche Spezialaufgaben benötige ich spezielle Tools. Aber andererseits hilft es, zu überlegen, was wäre, wenn diese mir nicht zur Verfügung stünden. Weiteres Beispiel, das zwar nicht direkt G.A.S.-spezifisch ist, aber gut illustriert, dass man zu improvisieren lernt, wenn man etwas nicht hat: Eine Fotografin, die mich seinerzeit ausbildete, hatte auf einer Hochzeit vergessen, ein Synchro-Kabel einzupacken (Heute würden wir Wireless Trigger sagen). Der Job musste gemacht werden, sie konnte ja schlecht sagen, „geht nicht, ich habe was zuhause liegen lassen“. Also nahm sie eine längere Belichtungszeit an ihrer Leica M3, fokussierte per Zonenfokus und löste den großen Metzblitz per Hand aus. Heraus kamen Bilder, die eine ganz andere und besondere Anmutung hatten, als wenn sie ihren Standard durchgezogen hätte. Boom – es kann also auch ein ungemein spannendes Unterfangen sein, sich auf das Allernötigste zu beschränken.

Was habe ich gemacht?

Seit über einem Jahr fotografiere ich mit der Fuji X-T1 und habe mir die X-E1 als Backup zugelegt. Beide nicht mehr aktuell. Nach einer kleinen G.A.S.-Reise durch das Vintagelens-Wonderland bin ich bei den alten Nikkoren hängengeblieben. Zwei alte Objektive hatte ich bereits (eins habe ich bereits vor über 20 Jahren gebraucht gekauft), dazu kamen dann noch ein Weitwinkel und ein Tele. Gut erhaltene manuelle Nikon-Objektive scheinen für die Ewigkeit gemacht, und ich freue mich immer wieder, sie in die Hand zu nehmen. Alle meine Paid Jobs mache ich mit dieser Ausrüstung, und meistens benutze ich das 50mm f/1.8. Diese Reduktion auf das Wesentliche hat mich meiner Ausrüstung näher gebracht, ich fotografiere bewusster, wenn auch langsamer. Und mir scheint, als würde ich die Hardware, mit der ich mich umgebe, wesentlich mehr wertschätzen.

Haben oder Sein?

Du musst dir im klaren darüber sein, dass „mehr“ nicht mehr hilft. Nimm einmal die Tools in die Hand, die dir gerade zur Verfügung stehen. Ich nehme an, dass die Kamera, die du hast, mehr Megapixel aufweist, als du eigentlich benötigst.

Das Haben-Will-Syndrom lauert quasi an jeder Ecke. Natürlich will ich auch immer mal wieder etwas anderes, besseres, schnelleres haben. G.A.S. ist in meinen Augen völlig normal. Und deshalb soll dies hier auch kein Plädoyer für Gear-Askese sein. Wenn du heiß auf eine neue Kamera / Objektiv oder sonst ein Gadget bist, dann gönne dir das. Belohne dich. Aber vielleicht bist du bei der Entscheidung ein Stück weit bewusster.

Feedback?

Mich würde interessieren, wie deine Erfahrungen mit diesem Phänomen sind. Oder bist du völlig frei von solchen Gelüsten ;-)?

5 Responses
  1. Moin 🙂
    oja, diese Gelüste kannte ich zu gut /o
    Aber ich habe sie mittlerweile auch Dank meiner
    intensiven Beschäftigung mit Minimalismus, Nachhaltigkeit und
    Müllvermeidung sehr gut im Griff.
    Ich schaue mir gerne die neuesten Cams an was sie alles können und
    freue mich drüber, aber ich verspüre nicht den Wunsch sie unbedingt
    haben zu müssen. Meine kleine D60 und meine große D300s bieten
    alles was ich brauche und sind unverwüstlich 🙂
    Als Analoge habe ich die Pentax ME von meinem Paps übernommen mit
    einem 50mm und einem Tele, auch eine feine Cam und unverwüstlich.
    Auch meine allererste Cam eine Konika Kleinbild ist immer noch im
    Einsatz und funzt.
    Wozu sollte ich dauernd das neueste Spielzeug haben, welches dann
    vielleicht nach ein paar Jahren kaputt ist, weil ja heutzutage nicht mehr
    wirklich auf Langlebigkeit gebaut wird.
    Nee ich bin zufrieden mit dem was ich habe und ziemlich glücklich
    das diese Gelüste nach, bäm das brauch ich sofort, nur noch äußerst selten
    aufblitzen 😀
    Das 50mm f/1.8 von Nikon ist übrigens auch mein Favorit und fast immerdrauf
    Glas 🙂

    LG Aurelia

    1. Tilman

      Hey, schön zu lesen. Ja, Minimalismus hilft (oft). Ich denke auch, dass es lange dauern kann, bis man ernsthaft an Grenzen stößt. Und dann ist klar, dass ich überlege, wie ich diese überwinden kann, und ob das Tool, das ich gerade benutze, mir dabei hilft. G.A.S. wird häufig durch gutes Marketing erzeugt, und da ist es interessant, sich selbst und seine eigenen Reaktionen darauf mal genauer zu betrachten…
      Ja, das 50er. Ein schönes Teil. Ich habe neulich die flache manuelle Variante bekommen (auch G.A.S.-induziert, ich geb’s zu), aber ich benutze es täglich ;-)!

  2. Eigentlich hatte ich das G.A.S gut im Griff… bis ich auf die Idee kan, mich den „analogen“ Linsen zuzuwenden.
    So langsam habe ich aber meine „Standards“, meine „Immerdraufs“ und ein paar Linsen zum Spaß und der Rest kommt dann auch wieder weg.
    Den neusten Trends hinterherzulaufen ist eine Sackgasse, aus der der Ausweg nur über Aufgeben oder dem deutlich kostspieligerem Nachgeben heraus führt.
    Letztendlich muss man sich klarmachen, dass man mit neuem, besserem und meist auch teurerem Equipment erstmal nicht unbedingt bessere Bilder macht, wenn man selbst nichts ändert außer dem Gear, sondern teurere. Manchmal muss es sein, z.B. beruflich bedingt, im Hobbybereich sollte man aber gerne das eine oder andere Mal überlegen, ob die Neuanschaffung von Nöten ist und einem wirklich weiterhilft.